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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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dem man ein Fernglas in die Hand drückt, damit er sehen kann, wie am Horizont gekämpft wird. Aber dieser Horizont erstreckte sich über die Oberfläche von Monitoren, und das Kampfgebiet war eine Datenlandschaft. Ob und wie viele Tote es tatsächlich gab, war nicht mehr zu ermessen. Die Amerikaner waren freundlich und kooperativ, ohne eine Erklärung dafür abzuliefern, warum sie alle unversehrt zurückkehrten, während sich die Leichen der Gefallenen in Indochina zu Bergen getürmt hatten.
    Welche Art Krieg war das, die Männern wie Solwegyn schmerzlich bewußt machte, daß ihr Schlachtfeld ein heruntergekommener Club in Porz war? Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man auf seine Erfahrung nicht verzichten wollen. Heute verwies man seinesgleichen an das Altersheim der Legion in Puyloubier mit seinen Weinbergen und Gesellschaftsräumen, in denen sich der faulige Geruch alter Geschichten ausbreitete.
    Solwegyn hatte es vorgezogen, sein eigenes schäbiges Reich zu gründen. Alles war besser als die Erniedrigung.
    Dann war vor zwei Jahren jemand in den Club gestürmt mit einem Messer in der Hand, der seine Frau suchte. Im anschließenden Handgemenge hatte er Solwegyns Auge zerfetzt. Seine Männer hatten den Kerl halbtot geschlagen und nur von ihm abgelassen, um die Existenz des Clubs nicht zu gefährden. Von diesem Tag an schimpfte sich Solwegyn einen Halbweltveteranen. Der Club war für die Dauer einiger Wochen geschlossen worden. Danach kamen viele nicht wieder, und das Geschäft geriet ins Stocken.
    Solwegyn prostete dem Baphomet hinter der Bar zu und stürzte ein weiteres Glas herunter. Zwei Tage noch, und er würde wieder in das Kostüm des Hohepriesters schlüpfen, um schwarze Messen zu zelebrieren.
    Es war zum Kotzen.
    Eine Weile starrte er trübsinnig vor sich hin. Katya war zu einer Freundin gefahren. Sie mochte es nicht, wenn er trank, und er tat es selten. Aber diese Detektivin hatte zuviel heraufbeschworen.
    Auch Üsker war nicht für die Legion gefallen oder für irgendeinen höheren Zweck. Er war abgeschlachtet worden, nachdem er zu einem harmlosen Gemüsehändler mutiert war. Allesamt verkamen sie zu Karikaturen und Spottobjekten.
    Natürlich gab es tausend Möglichkeiten, wer ihn getötet haben konnte. Die Welt wimmelte von verdrehten Hirnen. Nur sein Instinkt sagte Solwegyn, daß Üsker eine Konfrontation mit der Vergangenheit gehabt hatte. Der Mörder mußte aus dem Umfeld der Legion stammen. Oder noch eher aus der Zeit des Golfkonflikts, als Üsker sich in die undurchsichtigen Strukturen ZEROs eingereiht hatte. Auch wenn seinesgleichen aus der Mode gekommen war, wußte Solwegyn, daß er sich auf seinen Instinkt verlassen konnte.
    Bis heute hatte er jedesmal recht behalten.
    Er schob das Glas beiseite und ging nach oben, wo er in einem Stapel Notizen und Dokumente kramte. Dann wählte er eine Nummer und wartete. Es klingelte ein Dutzend Mal, bis der Hörer abgenommen wurde.
    »Wie gehtʹs dir?« fragte Solwegyn.
    Er konnte hören, wie die Person am anderen Ende der Leitung überrascht nach Luft schnappte.
    »Ymir?«
    »Ja. Wer denn sonst?«
    »Merde! Verdammt noch mal, was für eine Überraschung! Ich bin platt. Wundert mich, daß du überhaupt noch meine Nummer hast.«
    »Tu nicht so, als hätte ich mich nie um irgendwas gekümmert«, sagte Solwegyn. Seine Zunge lag wie ein Klumpen Filz an seinem Gaumen. »Hör zu, ich muß mit dir sprechen. Es ist wichtig, sonst hätte ich nicht angerufen.«
    Sein Gesprächspartner schien nachzudenken.
    »Ist was mit meiner Schwester?«
    Solwegyn stieß ein heiseres Lachen aus.
    »Nein, du kannst dich beruhigen. Alles bestens.«

    »Ah! Na gut.« Der andere machte eine Pause. »Und wie gehtʹs dir?«
    »Den Umständen entsprechend. Ich muß dich was fragen.«
    »Eh bien. Schieß los.«
    »Kannst du überhaupt noch deutsch?«
    »Was? Natürlich kann ich deutsch, du Idiot. Un petit peu, un tout petit peu. Sag schon, was los ist.«
    Solwegyn schnaufte. Der Alkohol schnürte ihm die Luft ab.
    »Erinnerst du dich an Jens Lubold?«
    Schweigen.
    »Lubold«, wiederholte Solwegyn sehr betont.
    »Natürlich erinnere ich mich an Lubold«, zischte der andere mit bebender Stimme. »Was soll die Frage? Du weißt genau, daß ich Lubold nie vergessen werde.«
    »Und? Ist er tot?«
    »Bist du noch zu retten? Solwegyn, was ist los? Bist du betrunken?«
    Solwegyn runzelte die Stirn.
    »Ja«, sagte er.
    »Versteh mich nicht falsch, ich freue mich, daß du anrufst, aber was stellst du

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