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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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Schusswaffe. Mit ihm konnte man Menschen entwaffnen, sich den Anschein der Umgänglichkeit geben und alle überraschen, die nicht darauf vorbereitet waren.
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Greg, der sich der Treue seiner Frau plötzlich nicht mehr so sicher war.
    Trotzdem befragten Vera und ihr Team ihre gemeinsamen Freunde und Nachbarn. Seine anfängliche Irritation war jetzt wie ein Juckreiz: Zorn, Verdacht, Selbsterforschung. Waren wir glücklich? Hatte sie damals, als Greg sie in der Notaufnahme abgeholt hatte, mit Dr. Tavendale geflirtet? Wessen Nummer war 07960055911? Warum hatte sie ihr Sparbuch mitgenommen? Die Fragen nahmen kein Ende und wurden noch angeheizt durch seine anfallartigen Erkundungen von Wäscheschubladen (wann hatte sie diesen roten Seidenbody gekauft?), Arzneimittelschränkchen (warum benutzte sie Hygienetücher?) und E-Mails:
    He,
    magst Du Lamm?
    Ceils x
    He – eine kokette Anrede, oder? Und ein Küsschen-x zum Schluss? Ceils? Die E-Mail war an Dr. Tavendale gerichtet, den sie mit seiner Frau für den folgenden Freitag zum Essen eingeladen hatten.
    Eine Freundin sagte der Polizei, Celia habe in letzter Zeit abgenommen und sich schicker angezogen als früher. Wirklich? Ihm war nichts aufgefallen. Gehörte er zu jener Sorte von Ehemännern, die diese sicheren Anzeichen der Untreue nicht bemerkten? Eine Schulfreundin sagte der Polizei, Celia habe sich darüber beklagt, dass Greg nie den Abwasch mache und ihr Sexleben weniger prickelnd als früher sei. Und eine Nachbarin hatte eines Abends um halb sieben einen Streit mitgehört. Celia habe vor ihren Kindern das Wort »Arschloch« benutzt.
    Die Polizei glaubte bemerkt zu haben, dass Sam, der ältere Sohn, wütend auf seine Mutter sei. »Stimmt«, hatte Sam zu Vera Oh gesagt, »sie hat ›Arschloch‹ gesagt. Sie will nicht mehr zurück nach Hause. Sie liebt uns nicht. Ich bin ja nicht blöd!«
    All die glücklichen Momente schienen auf einmal ihre Bedeutung verloren zu haben. Momente wie das allabendliche Ritual der Gutenachtgeschichte, oder das Würstchengrillen auf dem Zeltplatz in Frankreich, oder der Rückkauf ihres ganzen alten Spielzeugs bei der Schulfeier, oder die Überdosis Süßigkeiten im Kino, oder als Johnny dem Kassierer in der Bank of Scotland gesagt hatte, er sei DICK, RIESIG, ENORM! Oder als sie zu viert durch Kensington Gardens spaziert waren und »Ich sehe was, was du nicht siehst« gespielt hatten. Diese Momente und Millionen anderer schienen geschmolzen zu sein wie Johnnys extragroße Portionen Schokoeis. Ein glückliches, zufriedenes Familienleben hatte sich in eine klebrige Lache im Gras verwandelt.
    »Hat Ihre Frau sich jemals selbst körperlichen Schaden zugefügt?«, wollte Vera Oh wissen.
    »Nein«, sagte Greg.
    »Sind Sie sich dessen ganz sicher?«
    Gab es überhaupt noch etwas, dessen sich Greg ganz sicher war? »Sie ist glücklich. Wir sind glücklich.« Es klang, als ob er sich selbst überzeugen müsste.
    Sie suchten den Kanal und andere beliebte Selbstmordorte ab.
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt«, lautete Gregs Kommentar, als die Schleppnetze, Brückenkontrollen und Aufzeichnungen der Telefonseelsorge keinerlei Ergebnis brachten.
    Nicht lange nach Celias Verschwinden stieß die Polizei auf die Aufzeichnung der Tankstellenkamera. Um 4:58 Uhr hatte sie Chips und ein Doctor Who -Heft gekauft. Beim Hinausgehen hatte sie der Frau an der Kasse zugelächelt.
    War sie jemals zu Hause angekommen? Greg forschte in allen fünf Zimmern nach Hinweisen auf ihre Anwesenheit. Hatte sie eine der Türen geöffnet? Den Klodeckel geschlossen? Ihre Schlüssel und die Tasche im Flur abgelegt? Das Licht angeschaltet? Es sah nicht danach aus. In den fünfzehn Minuten, die sie zu Fuß von der Nachttankstelle zu ihrem Haus in Queensway Terrace brauchte, musste etwas geschehen sein.
    Dann gab es noch die letzte Möglichkeit. Eine Möglichkeit, die keiner in Betracht ziehen wollte, ehe nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen werden konnten: Sie war entführt worden, vielleicht vergewaltigt, vielleicht getötet, vielleicht verschleppt, vielleicht alles davon.
    Die anderen Möglichkeiten kamen und gingen im Verlauf der fünfwöchigen Ermittlungen – ein Unfall, ein unerwartetes gesundheitliches Problem, eine Liebesaffäre, wegen der sie Schuldgefühle empfand, eine plötzliche Depression, die nach einem finalen Ende verlangte. Doch all das waren Möglichkeiten, die umso geisterhafter und unwahrscheinlicher wirkten, je

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