Die dunkle Treppe
Sterben meine Hand zu halten?«
Pete antwortete nicht mit Worten, aber mit einer schönen, langen Umarmung.
»Ich frage mich einfach, wozu ich gut bin. Wozu bin ich gut?«
»Weißt du, was ich glaube?« Er strich mir das Haar aus den Augen. »Ich glaube, es ist die Ungewissheit, die dich auffrisst.«
Wir schwiegen einen Augenblick lang, ehe wir uns küssten, und als wir es taten, vergaß ich alle Regeln, die ich mir vor dem Waschbecken neben unserem Klo in Kilburn ausgedacht hatte. Vorteilhafte Winkel der Lippen und Zähne und Zungen und die richtigen Bewegungen … das war doch alles scheißegal. Es passierte einfach. Und vielleicht hätte ich es nie enden lassen, wenn nicht die Türklingel geläutet hätte.
Ich schaute auf Petes Armbanduhr. »Halb drei?« Widerwillig löste ich mich aus seinen Armen und ging zur Haustür. Es war Greg, der Mann von der anderen Straßenseite. Sein kräftiges braunes Haar war so wild zerzaust, als ob jemand ihn daran gepackt und im Schlaf hin und her geschleudert hätte. Seine beiden Jungs waren bei ihm, in Morgenmänteln und Hausschlappen: Johnny, schläfrig und niedlich; Sam, ernst und zornig.
»Es tut mir unheimlich leid«, sagte Greg. »Die Jungs sind schon die ganze Nacht völlig durch den Wind, und dann sahen wir, dass bei Ihnen Licht brennt … Es geht um Bobby … Er ist nicht nach Hause gekommen, und wir haben überlegt, ob er vielleicht wieder in Ihrem Garten ist.«
25
»Bobby!«, rief der Kleine mit der niedlichsten Stimme, die ich in meinem ganzen Leben gehört hatte. Wir standen im Garten hinter dem Haus. Pete hatte seine Taschenlampe geholt (in seinem Zimmer schien sich alles zu befinden, was ein Mensch jemals braucht), aber von der Katze war weit und breit nichts zu sehen.
»Bobby!«, rief der Ältere, Ernstere und stieß gegen den Eukalyptusbaum, den Pete mir geschenkt hatte. Die Erde in dem gelben Topf war knochentrocken. Ich füllte ein Glas und gab der Pflanze etwas Wasser.
»Bobby!«, schrie Greg.
Wir durchkämmten den ganzen Garten, aber wir fanden keine Spur von Bobby.
Johnny saß auf meinem Schoß, während Pete Toastscheiben mit Vegemite bestrich.
»Igitt!«, sagte Sam, als er die braune Masse auf seinem Toast sah. »Das sieht ja wie Kacke aus!«
»Euer Flur riecht nach Kacke«, sagte Johnny schläfrig.
»Pst!«, machte sein älterer Bruder. »Sei nicht so unhöflich.«
Johnny schlief in meinen Armen ein. Ich habe mich eigentlich nie besonders für Kinder interessiert, habe keine Nichten und Neffen oder schnuckligen Cousins. Deshalb überraschte mich das Gefühl, das mich durchströmte, als ich dieses warme Bündel Kuschligkeit in meinen Armen spürte. Es war schön. Überrascht stellte ich fest, dass ich Pete ansah, während er einen Toast ohne Vegemite machte. Er lächelte. Wie würde es sich für uns anfühlen, zusammen zu sein und eine Familie zu haben?
Ich überließ Pete den Abwasch und trug den schlafenden Johnny vorsichtig über die Straße nach Hause. Dort legte ich ihn in das große Elternbett und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann lächelte ich Sam an, der im Dunkeln neben seinem Bruder lag und intensiv an die Decke starrte.
»Keine Sorge, er kommt zurück«, sagte ich.
»Du weißt es nicht, oder?«
»Was?«
»Mach das Licht an«, befahl Sam.
Johnny schlief tief und fest, und Greg war im Badezimmer. Ich schaltete das Licht ein.
»Dreh dich um.«
Ich tat, wie mir geheißen, und fragte mich, was außer einer Wand oder einem Kleiderschrank hinter mir schon sein sollte.
Eine Wand war da, und ein Kleiderschrank auch … und beide waren übersät mit Zeitungsausschnitten, Stadtplänen, Notizen und Fotos. Ein Gesicht schaute mich an, ein schönes, glückliches, lächelndes Gesicht.
»Das ist meine Mami«, sagte Sam und zeigte auf den Ausschnitt, auf dem »VERMISST« stand, dann auf den mit der Überschrift »HABEN SIE UNSERE MAMI GESEHEN?«, dann auf den, der sagte: »POLIZEI BEENDET SUCHE«.
Ich schlug die Hand vor den Mund, setzte mich auf die Bettkante und schaute mir die Fotos an. Hinter mir hatte Sam sich aufgesetzt und rückte näher an mich heran.
Ich hörte, wie Greg das Schlafzimmer betrat, spürte seine Präsenz und dass er mich beobachtete. Dann drehte ich mich zu Sam um und umarmte ihn.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Das wusste ich nicht.«
»Sie hat uns nicht mehr lieb«, sagte Sam.
Ich hielt seinen Kopf in den Händen und schaute ihn an. Er hatte nicht die Augen eines Siebenjährigen. Seine Augen waren
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