Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
jetzt hör mir bitte mal zu. Es interessiert mich einen feuchten Kehricht, wie die Juristen das nennen. Ich habe achtzehn lange Jahre darunter gelitten, dass ich Henning seine Herkunft verheimlichen musste. Wie sehr ich gelitten habe, weiß ich übrigens erst, seit ich dich wiedergetroffen habe.«
Bei den Ermittlungen im Dezember hatte ich – allerdings ohne ihr Zutun – herausgefunden, dass ich vor fast zwei Jahrzehnten bei einem Klassentreffen und unter Alkoholeinfluss einen Sohn gezeugt hatte.
»Wenn du nicht Manns genug bist, deine Töchter aufzuklären, dann werde ich es eben selbst tun.«
»Bei der Polizei nennen wir so was Erpressung!«
»Es interessiert mich nicht, wie man das bei der Polizei nennt. Ich werde es tun.«
»Ich rede ja mit ihnen. Bald. Fest versprochen.«
»Du hast es schon fünfmal fest versprochen.«
»Zählst du etwa mit?«
»Natürlich.«
»Sobald ich wieder auf den Beinen bin, okay?«
Wieder seufzte sie. »Und nächstes Mal setzt du bitte einen Helm auf, wenn du aufs Rad steigst. Ich will nicht, dass Henning seinen eben erst wieder aufgetauchten Vater gleich wieder verliert.«
Die nächste Frau, die mich an diesem elenden Sonntagnachmittag anrief, um mir Vorwürfe zu machen, war Sönnchen, meine Sekretärin.
»Sie machen ja Sachen, Herr Gerlach! Wie geht’s Ihnen denn?«
»Steht es jetzt schon in der Zeitung? Oder ist es in den Fernsehnachrichten gekommen?«
»Meine Nichte hat mich vorhin angerufen und gesagt, Sie hätten einen Fahrradunfall gehabt.«
»Ihre Nichte?«
»Facebook, Herr Gerlach.«
»Ich glaube, ich muss mal ein paar ernste Worte mit meinen Töchtern reden.«
»Sie haben nicht verraten, was genau passiert ist. Bloß, dass Sie einen Fahrradunfall gehabt haben und das Bett hüten müssen.«
»Weiß die Welt auch schon, wie lange ich noch liegen muss? Das würde mich nämlich auch interessieren.«
»Ein paar Tage bestimmt. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen, das weiß ich auch ohne Internet. Sie liegen doch hoffentlich brav im Bett?«
»Im Moment ja. Aber morgen, spätestens übermorgen bin ich wieder im Büro.«
»Das werden wir ja sehen. Was ist denn eigentlich passiert?«
»Ich weiß es nicht. Irgendwie bin ich vom Rad gefallen und habe mir den Kopf gestoßen. Und wenn Sie jetzt auch nur ein Wort zum Thema Helm sagen, dann haben Sie einen neuen Feind auf der Welt, Frau Walldorf!«
»Sie haben also wirklich keinen aufgehabt?«
»Was genau bedeutet das Wörtchen ›wirklich‹ in Ihrer Frage?«
»Bei Facebook wird behauptet, Sie seien ohne Helm unterwegs gewesen und …«
Meine Kopfschmerzen schwangen sich zu ungeahnten Höhen auf. »Ich werde meinen Töchtern das Internet abklemmen«, stieß ich durch die Zähne hervor. »Sobald ich aufstehen kann, klemme ich ihnen das Internet ab.«
»Gar nichts klemmen Sie ab. Sie bleiben jetzt erst mal im Bett. Und Sie kommen morgen auch nicht ins Büro. Ich werd Sie krankmelden. Sie müssen sich um gar nichts kümmern. Sie bleiben einfach nur im Bett und werden wieder gesund. Und keine Angst, die Welt geht schon nicht unter ohne Sie.«
Der Tag war noch nicht zu Ende. Tage, die man im Bett verbringt, sind überhaupt erstaunlich lang.
Noch eine dritte Frau rief mich an. Diese allerdings erst, als es draußen schon dunkelte, und erstaunlicherweise wusste sie noch nichts von meinem blamablen Unfall.
»Mama, du?«
»Ja, ich. Wie geht’s dir, Alex?«
»Prima. Und dir? Wie ist das Wetter bei euch in Portugal?«
»Mir geht es gut. Sehr gut, danke.« Ach herrje, da gab es offenbar ein Problem. »Windig ist es. Seit Tagen schon. Sehr windig.«
»Soll im Winter am Meer hin und wieder vorkommen. Du bist doch nicht etwa krank?«
»Krank?«, fragte meine einundsiebzigjährige Mutter, als wäre das eine ganz und gar weltfremde Frage. »Wie kommst du denn darauf?«
»Du klingst so … Du klingst nicht, als würde es dir gut gehen, ehrlich gesagt.«
»Ich bin kerngesund. Mir geht es wunderbar.«
Nein, da stimmte etwas ganz und gar nicht. Meine Mutter rief mich üblicherweise zweimal im Jahr an, seit sie mit Vater zusammen ihren Wohnsitz an die Algarve verlegt hatte. Einmal an Weihnachten und einmal zu meinem Geburtstag. Sie zählte nicht zu der Sorte Mütter, die in ihrer Rolle aufgehen.
»Und wie geht’s Papa?«
»Dem geht es auch gut. Sehr gut sogar.«
»Mama, raus mit der Sprache – was ist los? Du rufst mich doch nicht einfach so an.«
»Wieso denn nicht? Man wird als Mutter doch
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