Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
noch mit auf den Weg, als wir uns an der Haustür verabschiedeten. »Sollten sich neue Symptome einstellen oder die alten zurückkehren, dann rufen Sie bitte diesen Kollegen hier an.« Er kritzelte eine Telefonnummer und die Anschrift in ein Notizbuch mit glänzenden Messingbeschlägen, riss das kleine Blatt aus und überreichte es mir. »Jonas ist ein alter Freund von mir, praktiziert nicht weit von hier in der Weststadt und ist ein erfahrener Allgemeinmediziner. Zudem ist er einer der wenigen, die heutzutage noch Hausbesuche machen. Sollten sich keine neuen Symptome einstellen, wovon ich ausgehe, dann gehen Sie morgen trotzdem zu ihm.« Er schüttelte kräftig meine Hand, sah mir ein letztes Mal besorgt in die Augen. »Bei Jonas sind Sie in guten Händen. Die meisten Doctores sind ja heutzutage technikvernarrte Quacksalber und willenlose Sklaven der Pharmaindustrie.«
Minuten später lag ich in meinem Bett und war heilfroh, wieder in der Waagerechten zu sein. Die Treppe war eine schwere Herausforderung gewesen. Natürlich ging es mir bei Weitem nicht so gut, wie ich behauptet hatte. Meine Töchter waren bei meinem Anblick mehr interessiert als beunruhigt gewesen. Ihr gefühlloser Kommentar hatte gelautet: »Zu uns sagst du immer, wir dürfen nicht ohne Helm fahren.«
Samstag, der siebte Februar. Das war mir immerhin ohne Anstrengung wieder eingefallen. Ein ungewöhnlich warmer, sonniger Tag für diese Jahreszeit. Deshalb hatte ich nach dem Mittagessen spontan beschlossen, eine kleine Radtour zu unternehmen, ein wenig Winterspeck wegzustrampeln, frische Luft in die Lungen zu pumpen nach dem ewigen Wintermief. In Richtung Norden war ich geradelt. Aus der Weststadt heraus, über den Neckar, durch das weitläufige Gelände der Unikliniken, am Zoo vorbei, über die noch völlig kahlen Felder zwischen Handschuhsheim und der Autobahn. In Ladenburg hatte ich später einen Cappuccino getrunken. Auf einer proppenvollen sonnigen Terrasse am Marktplatz. Und das Anfang Februar!
2
»Nette Beule haben Sie da«, stellte Dr. Jonas Slavik am Sonntagvormittag fest. Zuvor hatte er mich einer oberflächlichen und, wie ich fand, ziemlich herzlosen Untersuchung unterzogen.
Eigens für mich hatte er seine Praxis aufgeschlossen, die zum Glück nur wenige hundert Meter von meinem Krankenbett entfernt in einer schönen Jugendstilvilla untergebracht war. »Wie haben Sie das eigentlich angestellt? Am Hinterkopf?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Warum?«
»Weil Radfahrer normalerweise nach vorne fallen, über den Lenker. Deshalb haben sie ihre Beulen üblicherweise an der Stirn oder an der Seite. Sie müssen einen sensationellen Salto hingelegt haben. Und Helme sind ja nichts für echte Männer wie uns, was?« Sein Lachen klang unangemessen schadenfroh, fand ich.
»Es geht da ziemlich abwärts«, versuchte ich mich kraftlos zu verteidigen. Das hatte ich gesehen, als ich in den alten Ford seines noch älteren Freundes und Kollegen stieg. Immer noch regte sich nichts in meinem Kopf, wenn ich versuchte, mir die Minuten vor dem Sturz ins Gedächtnis zu rufen. Da war nur eine schwarze Wand. Keine Bilder. Nicht der flüchtigste Schatten einer Erinnerung an den Unfall oder die Zeit davor, so sehr ich mich auch bemühte.
»Sonst alles heil geblieben?«, erkundigte sich Dr. Slavik.
»Im Rücken tut’s auch ein bisschen weh.«
»Dann mal das Hemd hoch, bitte … ooh, ah, schön, sehr schön …Da haben Sie aber mal ein hübsches Hämatom. Sehr sauber abgegrenzt. Ganz symmetrisch. Und wunderbare Farben. Sind Sie auf was Hartes gefallen? Einen Stein vielleicht?«
»Keine Ahnung«, wiederholte ich meinen derzeitigen Lieblingssatz.
»Schön, sehr schön.« Er lachte befriedigt, erlaubte mir, das Hemd wieder in die Hose zu stopfen. »Das wird alles wieder. Reflexe sind im Rahmen des in Ihrem Alter Üblichen.«
In meinem Alter, schon wieder. Aber dieses Mal war es wohl anders gemeint als bei Dr. Kamphusen.
»Jetzt machen wir noch einen kleinen Sehtest, und dann sind wir auch schon fertig. Sie sind privat versichert?«
»Ich bin Beamter.«
»Schön. Sehr schön.«
Am Morgen waren die Zwillinge eifrig ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen. Sie hatten mich genötigt, wenigstens einige Stückchen Toastbrot zu frühstücken und ein Glas handgepressten Orangensaft zu trinken, wegen der Vitamine. Meinen zaghaften Einwand, Vitamine würden gegen Gehirnerschütterungen vielleicht nicht helfen, hatten sie resolut vom Tisch
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