Die dunklen Engel (German Edition)
vorstellbar, dass dieses Porträt nicht nur der Phantasie eines Malers entsprungen sein sollte, doch Gitan hatte geschworen, es werde ihr kaum gerecht. Morgen, überlegte Marchenoir, finde ich es heraus. Morgen bekomme ich Lady Campion Lazenders großgewachsenen, schlanken Körper zur Belohnung. Sie ist die letzte Tochter von Auxigny, die letzte und schönste, und morgen wird sie sterben. Er spürte den Zorn in sich, den schrecklichen, unstillbaren Zorn. Er würde sie alle umbringen, weil sie ihn als Kind verspottet hatten.
Wieder starrte er in die Nacht. Die Hügel im Osten waren dunkel bis auf ein winziges Feuer hoch oben an den Hängen oberhalb des Schlosses. Vermutlich Schäfer, die von den hochgelegenen Sommerweiden kamen und ihre Ziegen und Schafe herunter ins Tal brachten. Als Kind hatte er manchmal große Kannen voll Bier auf die Sommerweiden geschleppt, und dann war er um das prächtige Schloss herumgegangen und hatte sich gefragt, welche Pracht wohl hinter den Fenstern mit den roten Vorhängen lag. Jetzt wusste er, was hinter dem roten Samt war. Junge Frauen wie die auf dem Porträt, das er in Händen hielt, wie Juwelen in einer verschlossenen Schatulle, doch er hatte das Schloss der Schatulle aufgebrochen, und diese junge Frau würde er am nächsten Tag nehmen.
Hinter ihm öffnete sich die Tür.
Mit gerunzelter Stirn drehte er sich um.
In der Tür stand eine Frau mit zwei Flaschen Wein. Sie trug eine weiße Bluse und einen grünen Rock, doch es war nicht das Mädchen, das er im Schankraum gesehen hatte, wie sie Krüge hoch über dem Kopf trug. Diese Frau war älter, viel älter, und hatte ein Gesicht – hübsch mochte es durchaus einst gewesen sein –, das jetzt von Angst und Schrecken erfüllt war. Mürrisch blickte er sie an. «Und?»
«Der Bürger wünscht Wein?»
«Wer hat dich geschickt?» Er wusste es, doch er wollte aus dem Mund der Frau hören, dass der Gastwirt versucht hatte, Bertrand Marchenoir zu täuschen.
Sie zitterte. «Mein Mann.»
Marchenoir ging auf sie zu. Ja, sie war einst schön gewesen, und es waren noch Spuren dieser Schönheit in ihrem verängstigten Gesicht. «Dein Mann?»
«Ja, Bürger.»
«Und das Mädchen?»
«Ist meine Tochter, Bürger.»
Er begriff. Also war stattdessen die Mutter gekommen! Er sah zu, wie sie die Flaschen auf den Tisch stellte. «Deine Tochter ist wohl zu stolz, um mir Wein zu bringen, Bürgerin?»
Er sah, wie eilig die Frau Bluse und Rock übergestreift hatte. Gewiss hatte der Mann sie geschickt und gehofft, Marchenoir würde sie nicht anziehend finden. Die Tochter war zweifellos inzwischen auf irgendeinem Botengang unterwegs, in ein anderes Haus im Ort, wo sie in Sicherheit war. Der Wirt, dachte Marchenoir zornig, spielte ein äußerst gefährliches Spiel.
Die Frau schien zu zittern. «Meiner Tochter geht es nicht gut, Bürger.»
«Oh? Es geht ihr nicht gut?» Er schloss die Tür und schob den Riegel vor. Sie warf einen Blick auf den Riegel und schaute dann wieder ihn an. Er lächelte und gab sich besorgt. «Es geht ihr nicht gut! Eine plötzliche Krankheit, ja? Vor einer Stunde war sie noch putzmunter!»
Sie fasste sich an den Bauch. «Plötzliche Schmerzen, Bürger.»
«Oh!» Marchenoir lachte. «Und was schlägst du vor, um mich glücklich zu machen, Bürgerin?»
Sie versuchte zu lächeln – ein kläglicher Versuch –, und Marchenoir fand ihre Angst plötzlich lästig. Stirnrunzelnd sah er sie an. «Erinnerst du dich an mich?»
«Ja, Bürger.»
«Ich erinnere mich nicht an dich. Bist du in Auxigny aufgewachsen?» Er trat näher.
«Ja, Bürger.»
Er zog ihr die Haube vom Kopf und entfernte die Nadeln aus dem braunen Haar, sodass es ihr auf die Schultern fiel. «Wo in Auxigny bist du aufgewachsen, Bürgerin?»
«Hinter dem Rathaus, Bürger.»
«Ah! In der rue des drapiers ?»
«Ja, Bürger.»
«Kein Wunder, dass wir uns nie begegnet sind. Du hast nicht mit dreckigen kleinen Jungen geredet, die jenseits des Flusses lebten, was?»
«Bürger?» Ihre Augen waren weit aufgerissen.
Voller Abscheu blickte er sie an. «Mach dich fertig, Frau.» Sie zog Bluse und Rock aus und trat die Schuhe von den Füßen. Dann stand sie nackt und weinend vor ihm, das braune Haar hing ihr zerzaust um die schmalen Schultern. Marchenoir trat langsam vor. «Du bist eine Närrin.»
«Bürger?»
«Raus hier! Raus! Raus!» Die Wut kam aus dem Nichts, schoss hoch wie eine rote Flut. «Raus!»
Sie raffte die Kleider ihrer Tochter zusammen, entriegelte
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