Die dunklen Engel (German Edition)
die Tür und floh entsetzt an den erstaunten Wachen im Korridor vorbei.
Mit einem Tritt schloss Marchenoir die Tür. Macht, die so leicht auszuüben war, reizte ihn nicht; an den Tränen einer Frau aus der rue des drapiers hatte er keinen Gefallen.
Er betrachtete das Porträt auf dem Tisch. Dort war Vergnügen, und dort war Gefallen, denn das war eine Hure, die er von ihrem hohen Thron zerren würde, und indem er dies tat, würde er die Welt neu erschaffen.
Er nahm eine der Flaschen, die die Frau des Gastwirts gebracht hatte, ging ans Fenster und blickte brütend auf Auxigny. Morgen war Luzifers Tag gekommen. Morgen.
Als der Morgenstern verblasst war und die Sonne einen Regenbogen in die Gischt des Wasserfalls zauberte, führte Skavadale Campion fort von dem hochgelegenen Ort, an dem sie sich, der Welt trotzend die Stirn bietend, geliebt hatten.
Sie überquerten den Fluss und stiegen über steile Pfade durch dunkle Wälder hinab ins Tal. Das Ziel der Reise, das Château d’Auxigny, war immer noch eingehüllt in einen weißen Nebel, der sanft in Richtung Ortschaft waberte.
Langsam löste der Nebel sich auf. Zuerst sah Campion die blauschwarzen Schieferdächer der Türmchen, die aus dem Dunst aufstiegen wie ein Märchenschloss und nicht wie ein Ort, der dem Bösen anheimgefallen war. Auf einer Lichtung blieb sie stehen, bis die letzten Nebelfetzen das ruhige, spiegelglatte Wasser in den Wassergräben ihrem Blick preisgaben. Auxigny.
Für sie hatte die Reise begonnen, als dieser Mann, der jetzt ihr Liebster war, vor einem Jahr nach Lazen gekommen war. Wann hatte die Reise wohl für ihn begonnen?
Er lächelte, als sie ihn danach fragte. «Vor vier Jahren.»
«So lange?»
«Paunceley ist schon länger hinter den Illuminaten her, aber damals hat er mich auf sie angesetzt.» Er führte sie von der Lichtung. «Das ist eine persönliche Obsession von Lord Paunceley. Er hasst Geheimgesellschaften, für ihn sind das Kloaken, und ich bin die Ratte, die er hinunterschickt, um sie zu erkunden.» Er lachte.
Sie roch den frischen Morgentau auf den Kiefern. Die Eschen, die sich an die Felsen klammerten, waren kahl, an ihren Ästen hingen Tauperlen. «Wenn Lord Paunceley hinter alldem steckt», fragte sie, «warum durfte ich ihm dann nicht erzählen, dass Toby lebt?»
Skavadale antwortete nicht gleich. Er war an einer Wegbiegung stehen geblieben und suchte lange den Weg vor ihnen ab, als hielte er Ausschau nach Feinden. Sie sah ihn in angespannter Bewegungslosigkeit verharren und vermutete, dass er nicht nur Augen und Ohren benutzte, sondern auch eine Art animalischen Instinkt, der ihn vor Gefahren warnte. Sie sah, dass er sich entspannte. Er schenkte ihr sein flüchtiges Lächeln. «Weil man in der Kloake niemandem traut, Mylady.»
Sie erinnerte sich, dass er gesagt hatte, nichts würde sein, wie es schiene. Nichts. «Du vertraust ihm nicht?»
«Als Toby zu deiner Hochzeit kommen sollte, hat Lord Paunceley den Franzosen gesagt, wo das Schiff ihn aufsammeln würde.»
«Lord Paunceley?»
«Er hat behauptet, er habe herausfinden wollen, ob die Franzosen sich wirklich für Lazen interessierten.»
«Woher weißt du das?»
Er lächelte. «Weil ich sein Bote war, natürlich.»
«Du hast es den Franzosen gesagt?»
«Ja.»
«Aber Toby hätte sterben können!»
«Ich habe es auch ihm gesagt», sagte er, als wäre eine solche Doppelzüngigkeit das Normalste von der Welt. «Erst als ich dein Porträt sah, war ich mir ganz sicher, dass sie sich wirklich für Lazen interessieren. Wir gehen hier entlang.» Er lenkte sie fort von den offenen Weiden des Tals tiefer zwischen die Bäume.
«Aber Lord Paunceley war ein Freund meines Vaters! Er würde Lazen doch niemals schaden.»
Er lachte. Sie hatten die Talsohle erreicht, und es ging weiter zu einer Försterhütte, die mit Kiefernästen gedeckt war. «Ich glaube nicht, dass Lord Paunceley wirklich Freunde hat. Nur solche, mit denen er weniger verfeindet ist. Fass das nicht als Beleidigung auf, aber ich vermute, dass er deinen Vater mochte, weil ein Krüppel keine Bedrohung für ihn darstellte.» Sie schwieg. Er wies auf die Hütte. «Willkommen. Dies ist für heute dein Zuhause.»
Die Hütte war feucht, klein und einsam. «Kann ich nicht mit dir kommen?»
Er schüttelte den Kopf. «Allein bin ich beweglicher. Abgesehen davon hast du eine lange Nacht vor dir. Du musst dich ausruhen.»
«Bringst du Toby mit?»
«Ja.» Er lächelte über die Vorfreude in ihrem Gesicht.
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