Die dunklen Engel (German Edition)
heruntergeklappt war.
Voller Widerwillen starrte Seine Lordschaft darauf. «Nun?»
Owen lächelte. «Die Papiere vom Treffen des Sicherheitsausschusses von letzter Woche, Mylord. Nichts Besonderes, außer ein Brief an den amerikanischen Präsidenten, in dem dieser aufgefordert wird, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und uns den Krieg zu erklären.»
«Ha!» Lord Paunceley starrte aus dem Fenster. «Ist das alles?» Für einen Mann, dem man gerade Papiere übergeben hatte, die dem wichtigsten Ausschuss der französischen Regierung entwendet worden waren, war er ausgesprochen grantig.
«Ein privater Brief für Sie, Mylord, vom Earl of Lazen.»
Eine runzelige, trockene, klauenartige Hand schoss unter dem großen Mantel aus Wolfspelz hervor. «Geben Sie ihn mir.»
Owen fragte sich, ob er wohl Wein angeboten bekommen würde. Er konnte sich für diese Ausflüge nicht so erwärmen wie sein Herr, und mit ein wenig Wein ließen sich die Festlichkeiten leichter ertragen. Während Lord Paunceley den Brief aufriss und ans Licht hielt, beugte Owen sich vor, um auf der rechten Seite aus dem Fenster zu schauen.
Hinter der Scheibe lag ein kleiner, schäbiger, morastiger Bereich, wo einzelne Grashalme zu überleben versuchten. Der Fleck war fast vollständig von Sitzreihen umgeben, hoch genug, um die neuen Gebäude zu verbergen, die sich von London bis dahin ausgebreitet hatten, wo einst die Viehweiden von Tyburn gewesen waren.
In der Mitte dieses Schauplatzes erhob sich «Albions Schicksalsbaum». Geraint Owen vermutete, dass auf diesem Fleck tatsächlich einst ein Baum gestanden hatte, doch wenn dem so war, dann war er längst verschwunden. Heute befand sich hier eine mächtige Holzkonstruktion. Drei Pfosten waren in den Boden gerammt und oben mit drei langen Balken verbunden worden, die in einer Höhe von gut dreieinhalb Metern über dem Boden ein Dreieck bildeten.
An dem Balken, welcher der Einfriedung am nächsten war, lehnte eine Leiter. Ein Mann saß rittlings auf dem Balken und verknotete ein Seil, das in einer Schlinge endete.
Lord Paunceley legte den Brief des Earl of Lazen zur Seite, dann löffelte er sich ein wenig Ente in Aspik in den Mund. «Unser Kerl geht zuerst, hoffentlich?»
«In der Tat, Mylord.» Geraint Owen nickte.
Ihr Kerl war ein Franzose, der behauptet hatte, Sekretär des hingerichteten Duc de Sallons gewesen zu sein. Doch Achilles d’Auxigny hatte ihn gefragt, welche Farbe die Bettvorhänge des Duc hatten, und der sogenannte Sekretär hatte blau gesagt. Achilles hatte geseufzt. «Sie waren rosa, mein Freund, immer rosa. Ziemlich hübsch, wenn ich mich recht erinnere.» Bei einer Durchsuchung seines Gepäcks waren ein schäbiges Signalbuch gefunden worden und Instruktionen, herauszufinden, was für Schiffe auf britischen Marinewerften gebaut wurden. Er würde an diesem schönen Morgen gehängt werden.
Mit seinem Löffel wies Lord Paunceley auf den Strick. «Ich hoffe, es geht nicht zu schnell!», sagte er besorgt.
«Nein, nein!», versicherte Geraint Owen ihm. Spitzel hängten sie nie schnell. Es hätte der Menschenmenge den Spaß verdorben.
Lord Paunceley sah Owen fragend an. Das reptilienartige Gesicht Seiner Lordschaft war verdrießlich. «Trinkt man Wein in Wales, Owen? Oder nur Wasser? Ale vielleicht? Oder haben Sie irgendein spezielles walisisches Getränk? Krähenblut? Krötengalle? Saft von Jungfrauen, der bei Mitternacht in Kokosnussschalen gepresst wird?»
«Ein Glas Wein wäre sehr angenehm, Mylord.»
«Es ist sehr guter Wein», sagte Seine Lordschaft, machte dabei aber ein Gesicht, das auf das Gegenteil schließen ließ.
«Ich werde mein Bestes tun, ihn zu überleben, Mylord.»
Seine Lordschaft schenkte ihm großzügig ein. «Ich genieße solche Gelegenheiten. Wenn Sie mal in meinem Alter sind, Owen, werden Sie finden, dass eine Hinrichtung ein äußerst fabelhaftes Tonikum ist. Alt zu sein und die Jungen sterben zu sehen! Das ist ein Maßstab für Erfolg, nicht wahr? Da, trinken Sie. Ich habe vier Schilling für die Flasche bezahlt, und Gott allein weiß, wie hoch der Krieg den Preis noch treiben wird. Wo ist Lord Werlatton?»
Die plötzliche Frage bestätigte Owens Verdacht, dass der Brief des Grafen von seinem Sohn gehandelt hatte. «In der Vendée, Mylord.»
«Nicht in Paris, um Leute zu ermorden?»
Owen lächelte. «Nein, er ist in der Vendée, Mylord.»
«Wie schnell können wir ihm eine Nachricht zukommen lassen?»
Owen zuckte die Achseln.
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