Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
er malte, um das Dach über seinem Kopf zu bezahlen, kein Problem mehr. Angespornt durch die Leidenschaft für ein einziges Bild, könnte er auch im kommerziellen Bereich produktiv sein wie nie zuvor. Er würde früh aufstehen und arbeiten, bis die Abenddämmerung es ihm unmöglich machen würde weiterzumalen, und dann …
Da war sie wieder, ihr Haar, so schwarz und so glänzend wie indische Tinte. Verdammt, wer war sie nur? Dreh dich zu mir um, wünschte sich Gabriel. Sieh mich an. Aber sie tat es nicht. Sie schritt die Stufen zu einem wartenden Gespann hinab, wo ihr von einem Lakaien in silberblauer Livree die Tür aufgehalten wurde. Dann stieg sie, mit einem kurzen Anheben ihrer Röcke und gesenktem Kopf, in die Kutsche und entschwand seinen Blicken.
Gabriel seufzte. Er sollte diskrete Nachforschungen anstellen lassen und herausfinden, wer sie war. Vielleicht konnte man sie davon überzeugen, für ihn zu sitzen? Als was würde er sie malen? Als schöne Helena? Oder als Kleopatra – auf einem Schiff, das aussah wie ein kostbar metallbeschlagener Thron, umgeben von Violett- und Goldtönen. Nein, er würde sie einfach als sie selbst malen. Aber das würde kein steifes, lächelndes Porträt für den Salon werden. Es sollte ein Werk völlig frei von gesellschaftlichen Statussymbolen und schmückendem Beiwerk werden.
Kein kunstvoll hochgestecktes Haar, keine kostbare Brosche am Kleid. Die dunklen Locken würden offen über ihre Schultern fließen, und sie wäre ganz schlicht gekleidet, in ein langes, hauchfeines Chiffongewand. Er stellte sich vor, wie sich das geschmeidige Gewebe über ihren entspannt hingegossenen Körper legte und verstohlene, verschleierte Blicke auf ihre darunterliegende Nacktheit gestattete. Er würde Pastellfarben benutzen, um jeden Schatten einzufangen, ihre Brustspitzen muschelrosa anzudeuten und ebenso die Dunkelheit, die sich über ihr Geschlecht legte.
Ein Schwall der Erregung ergriff Besitz von seinen Lenden, und in seiner Phantasie zog er seinem Modell das Chiffonhemd aus. Er stellte sich vor, seine Hände über ihre glatte, zarte Haut gleiten zu lassen und ihre vollen, rosigen Lippen zu küssen. Sein Schwanz erhob sich von dem Blut, das mächtig in ihn strömte und ihn hart werden ließ. Welche Farbe wohl ihre Augen hatten?, fragte er sich. Wie würde sie wohl aussehen, wenn die Ekstase von ihr Besitz ergreifen würde?
Minutenlang stand er so da, während die Sonne seine Haut wärmte und ihn in Phantasiewelten entführte, in denen es ebenso lustvoll wie romantisch zuging. Dann brach ein durchdringendes Klopfen an der Ateliertür brutal in seine Gedanken ein.
«Zur Hölle», schimpfte er und stampfte wütend durch den Raum. Hatte er seinen Dienstboten nicht oft genug gesagt, dass sie ihn nie und niemals stören durften? Nicht wenn er bei der Arbeit war. Herrje, das hätte einen kobaltblauen Pinselstrich auf der pfirsichfarbenen Haut einer Wange verursachen können!
Die Tür ging auf, und Lucy, mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen, segelte ins Atelier, klapperte mit ihren hohen Absätzen über den Eichenholzfußboden.
«Guten Morgen», sprudelte sie lebhaft. «Ich hoffe, es geht dir gut? Was für ein wundervolles Wetter heute, findest du nicht?»
Völlig außer Atem erschien Gabriels Kammerdiener in der Tür, stieß einen Schwall von Entschuldigungen hervor und warf Lucy wütende Blicke zu. Dieser widmete sich Gabriel jetzt zornig und entließ seinen Diener mit einer knappen Handbewegung.
«Warum, zum Teufel, führst du dich hier so auf?», rief er aus. «Niemand, aber wirklich niemand , hat mich zu stören, wenn ich arbeite.»
«Oh, welch zuvorkommende Gastfreundschaft», rügte sie ihn heiter und sah dabei in den Spiegel über dem Kamin. «Was für tadellose Manieren.» Sie wischte einen unsichtbaren Fleck von ihrer Nasenspitze und rückte ihr keckes Hütchen zurecht. «Aber wie auch immer, du hast ja sowieso nicht gearbeitet. Das tust du doch ohnehin selten, Gabriel. Und versuche nicht, das zu bestreiten. Ich habe es selbst von der Straße aus beobachtet. Abgesehen davon ist der Anlass für meinen Besuch eine dringende Angelegenheit.»
Gabriel atmete tief aus, und sein Ärger wich einer gewissen Genervtheit. Für Lucy konnte die kleinste Sache zu einer äußerst dringenden Angelegenheit werden, wenn es sich um etwas handelte, was sie sich gerade in den Kopf gesetzt hatte. Immer handelte sie wie aus einer bloßen Laune heraus, oder aber sie schmiedete irgendwelche
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