Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
«Wie viel wollt Ihr?»
Gabriel schüttelte den Kopf. «Einiges war Klatsch, einiges auch nur geraten.»
«Und meine … meine unnatürliche Veranlagung?», sagte sie, während ihre Finger nervös mit dem juwelenbesetzten Halsreif spielten.
«Eine Ahnung.» Er zuckte mit den Achseln. «Es hat was mit der Art zu tun, mit der Ihr Lucy gelegentlich angesehen habt. Aber, wenn Ihr Euch erinnert, ich habe nichts wirklich ausgesprochen, Olivia. Meine Worte hätten für verschiedene Menschen etwas vollkommen Unterschiedliches bedeuten können. Obwohl Eure Reaktion dann viel dazu beigetragen hat, meine Vermutungen vollauf zu bestätigen.»
Olivia seufzte und blickte gedankenverloren ins Halbdunkel. Sie hatte einen Namen als raffinierte, männermordende Dirne zu verlieren. Im Alter von vierundvierzig konnte sie schon jetzt nicht mehr das verlangen, was sie früher einmal bekommen hatte. Aber wenn ihr zartes Begehren für Frauen bekannt würde, könnte sie das in den Augen der Leute zum alten Eisen befördern.
«Wir brauchen Eure Hilfe», sagte Gabriel kurz entschlossen. «Wir brauchen besseres Make-up und Theaterrequisiten. Und wir brauchen ein paar schmutzige Details über Lord Marldon. Intime Dinge.»
Sie wandte ihm ruckartig den Kopf zu, und ihre Augen waren schmal vor Misstrauen und Ärger. «Soll das eine Erpressung sein?», schnauzte sie ihn an.
«Nein», antwortete er. «Ich gebe Euch mein Wort, dass ich nichts von dem, was ich weiß, weitersagen werde. Es muss mir einfach nur gelingen, mich in Asham House einzuschleusen.»
«Um Himmels willen, warum nur?», fragte Olivia.
Gabriel bat Lucy aus dem angrenzenden Salon herein, und gemeinsam erklärten sie ihr den Plan.
«Dieser raffgierige Köter», murmelte Olivia, als die beiden fertig waren. «Und deine Kusine ist ein so reizendes Ding. Es gruselt mich, daran zu denken, was er mit – oh, bitte entschuldige, Gabriel. Es tut mir so leid. Natürlich werde ich euch helfen, obwohl ich denke, dass der gute Doktor erst einmal ein wenig Reputation erwerben müsste, bevor er den Versuch unternehmen kann, Asham zu besuchen. Marldon ist zwar sehr neugierig und aufgeschlossen solchen Dingen gegenüber, aber vor allem deswegen, weil er es genießt, einen Scharlatan entlarven zu können. Du wirst verdammt gut sein müssen, mein Junge, verdammt gut.»
«Es ist egal, ob er glaubt, dass Gabriel ein Schwindler ist oder nicht», sagte Lucy. «Solange er nicht darauf kommt, wer er ist. Und dann gibt es da noch einen zweiten Teil unseres Plans, bei dem wir deine Hilfe brauchen. Das heißt, wenn du überhaupt bereit bist, uns zu helfen.» Sie ging durch den Raum zur Tür. «Miss Preedy, kommt doch herein.»
Miss Preedy, die ihr helles Haar zu Locken gedreht, aufgesteckt und mit kleinen Blümchen besteckt trug, segelte ins Zimmer. Sie trug ein leuchtend rotes Kleid, dessen üppige Spitzenschleppe über den Boden glitt. Sie hielt ihren Kopf hoch erhoben und lächelte alle drei an.
Gabriel sah ihr erstaunt entgegen und pfiff. «Mein lieber Schwan, Kitty», sagte er. «Und ich dachte, meine Verkleidung sei gut.»
Kittys Lächeln wurde noch breiter. «Klasse, oder?»
Lucy hustete missbilligend. «Livi», sagte sie, «denkst du, dass du es mit deinen Beziehungen hinbekommen kannst, Kitty einen Job bei Madame Jane’s zu besorgen?»
Olivias kritische Augen wanderten über das junge Mädchen und betrachteten es abschätzend von Kopf bis Fuß. «Ich kann es versuchen», sagte sie und nickte gedankenvoll dabei. «Ja, wenn es bedeutet, dass ich mich damit bei Marldon revanchieren kann, dann werde ich verdammt nochmal alles dafür tun.»
Clarissa stand an ihrem Schlafzimmerfenster und blickte über Piccadilly hinweg auf den Green Park. Seine stille, malerische Weite schien in einer anderen Welt zu liegen. Sie lag dicht bei der ihren, aber doch zu weit weg, um irgendjemandes Aufmerksamkeit dort erregen zu können, und in Bezug auf alles andere war jene Welt ohnehin weit, weit weg.
Die Leute, die dort bummelten, waren ganz alltägliche Menschen, die Luft schnappten und ihren Verrichtungen nachgingen. Deren Normalität ließ Clarissa ihre Gefangenschaft und die Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Gelüste umso deutlicher spüren. Diese eleganten Gecken wussten nichts von ihrer Bedrängnis; sie fühlten kein Begehren, das so krank und hungrig war wie das ihre. Es war unvorstellbar.
Sie fühlte sich vollkommen und unwiderruflich verändert. Und sie wusste nicht, ob Marldon diese
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