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Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)

Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben der Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Lloyd
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einem langen Mantel mit Kapuze. Ein langer, graumelierter Bart stach aus seinem im Schatten liegenden Gesicht, und an seinem Hals hing, aufgezogen auf eine schwere Silberkette, ein langes, gedrehtes Stück Metall.
    Olivias Hand lag mit der Handfläche nach oben in seinen beringten Fingern.
    «Es hat viele Männer in Eurem Leben gegeben», sagte der Doktor nach einem unendlich lang erscheinenden Schweigen.
    Olivia schnaubte. «Ich brauche keinen Wahrsager, um mir das sagen zu lassen», sagte sie mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme. «Das weiß, verdammt nochmal, wirklich jeder.»
    Der Doktor bat mit erhobener Hand um Ruhe und fuhr fort, sich in ihre Hand zu vertiefen.
    «Viele haben Euch gefallen; viele haben Euch umworben.» Der Doktor atmete tief durch, mit erhobenem Kopf und geschlossenen Augen. Seine Haut sah aus wie gegerbtes Leder, dunkel und faltig, seine Augenbrauen waren grau und buschig.
    «Ich sehe einen Mann, der Euch beobachtet», setzte er fort. «Und Ihr … Diamanten … Ihr tragt nichts als Diamanten. Liegt lang ausgestreckt auf einem Tisch. Er ist ein Mann von königlichem Blut, kein König. Er wartet. Eines Tages wird er der König sein.» Der Doktor senkte seinen Kopf abrupt und holte lang und unruhig Luft.
    Olivia erblasste. Sie hatte, wenn es hochkam, vielleicht drei Menschen von dieser Episode in ihrem Leben erzählt. Oder waren es vier? Eine Liebschaft mit dem Prinzen von Wales war nichts, was man diskutierte. Eine Kurtisane, der man nachsagen kann, dass sie klatscht, würde niemals mehr in höheren Kreisen empfangen werden.
    «Nur ein Mann hat Euch wirklich befriedigt», murmelte der seltsame Doktor. «Ich kann eine Narbe auf seinem Gesicht sehen. Er wollte, dass Ihr Euch ihm unterwerft.»
    «Und das habe ich nicht getan», sagte Olivia heftig und entzog ihm ihre Hand.
    «Nein, nein. Das tatet Ihr nicht. Das tatet Ihr nicht.»
    Olivia fand, dass dies nicht das Vergnügen war, das Lucy ihr versprochen hatte. An Erinnerungen der schmerzvollen Art sollte man besser nicht rühren. Sie gehörten in ihre Vergangenheit, nicht in ihre Gegenwart. Und Olivia war heute ein anderer Mensch als der lebenshungrige Fratz, den Marldon seinerzeit in die Hände bekommen hatte.
    Er hatte ihr viel beigebracht, vieles davon unwissentlich. Andere zu dominieren und sie in winselnde, bettelnde Wracks zu verwandeln war etwas, das sie allein dadurch gelernt hatte, dass sie seinem Beispiel gefolgt war. Es hatte sich als eine äußerst lukrative Fähigkeit erwiesen, jedoch war es weniger befriedigend, als zu lernen, wie es einem gelingen konnte, seinen Hass zu verbergen. Lächelnde Undurchdringlichkeit war etwas, das Marldon nicht ertragen konnte. Es bot ihm nichts, wovon er sich ernähren konnte, und Olivia hatte, wenn es um ihn ging, eine unglaublich charmante, eiskalte Art entwickelt.
    Sie war immerhin Schauspielerin.
    Dieses Talent erwies ihr im Umgang mit Menschen aus der besseren Gesellschaft gute Dienste: Niemand kannte die wahre Olivia; niemand kannte ihre geheimsten Leidenschaften oder was ihr den höchsten Genuss bereitete, es sei denn, sie hatten teil daran. Sie hoffte, dass der Doktor nicht in der Lage wäre, allzu tief zu blicken.
    «Sind dies hier Eure Medizinen, Doktor Paya?», erkundigte sie sich plötzlich und machte eine Kopfbewegung in Richtung auf das Regal. «Eine höchst interessante Auswahl.»
    «Ihr braucht keine Medizin», antwortete er, «obwohl es so manchen gibt, der dem widersprechen würde. Sie sehen das als einen kranken, einen unnatürlichen Akt an. Als verabscheuungswürdig.»
    «Nein», rief Olivia und sprang auf. «Kein Stück weiter.» Der Stuhl kippte um auf den Fußboden hinter ihr. Sie drehte auf dem Absatz um und schoss zur Tür. Wenn das bekannt wurde, könnte das ihren Ruf vollkommen ruinieren.
    «Olivia, bleib», ertönte eine sanfte, drängende Stimme.
    Sie blieb abrupt stehen und drehte sich langsam ungläubig zu dem Mann um. Dieser schob seine Kapuze zurück, löste den Bart von seinen Ohren und lächelte entschuldigend.
    «Mr. Ardenzi», flüsterte sie. «Was seid Ihr doch für ein verachtenswertes Schwein.»
    «Ich weiß», antwortete er. «Es tut mir leid. Bitte, Livi, lasst mich erklären.»
    Olivia kam zurück und hob den Stuhl wieder auf, wobei ihr entsetzter Blick nicht von seinem geschminkten Gesicht wich.
    «Wer hat Euch davon erzählt?», ächzte sie. Sie setzte sich hin, als wäre sie alt und gebrechlich, und ordnete bedächtig ihr leuchtend kastanienrotes Haar.

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