Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
über Lauwaerts Antlitz. „Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel gesehen?“
Henryk erwiderte schweigend den Blick.
„Du siehst aus wie eine Wachspuppe. Wie ein wandelndes Skelett. Als würdest du an einer schweren Krankheit leiden.“ Lauwaert schnaubte. „Tut mir leid, dass ich dir das so ins Gesicht sage, aber mir lag immer viel an dir. Und scheinbar hast du niemanden, der dich darauf hinweist. Was immer du tust, du solltest damit aufhören. Du ruinierst deine Gesundheit.“
„Mein Körper ist robust.“
„Ich dachte schon bei diesem Empfang in Baeskens’ Haus, dass du nicht ganz du selbst bist.“ Der Professor presste seine Fingerspitzen gegeneinander. „Aber als ich dich vorhin gesehen habe, war ich erschrocken.“
„Warum haben Sie das gesagt, mit dem Vermeer?“
„Ach, Geplänkel.“ Lauwaert lächelte. „Es ist mir nur so eingefallen.“
Henryk forschte nach Doppeldeutigkeiten in der Miene des Professors, doch konnte nichts finden.
„Was ist los mit dir? Du kommst mir so vor, als würdest du eine riesige Last mit dir herumtragen, die dir ins Fleisch schneidet und dich erstickt.“
„Nein, es geht mir gut.“ Er machte eine weit ausholende Armbewegung. „Ich habe diese Ausstellung. Wie soll es mir da nicht gut gehen?“
„Du trägst deinen Wollmantel gar nicht mehr. Ich dachte immer, der ist fest mit deiner Persönlichkeit verwoben.“
Es war zuviel.
Tief drinnen riss ein Faden. Durch den entstehenden Spalt stieg Angst empor, so wie dunkle Tinte in klares Wasser quillt. Henryk wusste, dass er diese Unterhaltung keine Sekunde länger fortführen konnte. Er wandte sich abrupt ab und stürmte zur Tür am Ende des Raums, ohne sich zu vergewissern, ob Lauwaert ihm folgte. Hastig drängte er sich hinaus in den Hof. Er lief weiter bis zur Hofdurchfahrt, die zurück auf die Straße führte und verharrte erst, als er unter dem Bogen stand. Gedämpftes Stimmengemurmel schwang von den Treppen herüber.
Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte in hastigen Zügen. Lauwaerts Worte zerrten an ihm wie ein eisiger Wind. Er machte einen weiteren Schritt in den Tunnel hinein, tauchte tiefer in die Schatten. Der Glutpunkt der Zigarette verschwamm vor seinen Augen. Er beobachtete ein Paar, das aus einem Taxi stieg und in Richtung des Eingangs verschwand.
Vielleicht gönnte ihm Lauwaert den Erfolg nicht. Vielleicht stichelte er deshalb und versuchte, ihn zu verunsichern.
Aber das war absurd. Es gab keinen Grund. Lauwaert war es doch überhaupt erst gewesen, der ihn mit Verhoeven zusammengebracht und seine erste Ausstellung ermöglicht hatte.
Wieder fragte er sich, ob Lauwaert etwas über den Vermeer wusste, über seine wahre Geschichte. Frustriert ließ er den Zigarettenrest fallen und trat hinaus ins Licht der Laternen. Ein Schlag durchfuhr ihn, als er das rote Kleid entdeckte. Seine Kehle verengte sich.
Er suchte mit den Augen nach Peter Baeskens, doch der war nirgends zu sehen. Helene stand auf den Treppenstufen und wandte ihm den Rücken zu. Euphorie rauschte über ihn hinweg und spülte alle Ängste davon. Rücksichtslos drängte er sich durch die wartenden Gäste, bis er dicht hinter ihr stand.
„Helene“, sagte er halblaut.
Sie drehte den Kopf.
Für einen Herzschlag sahen sie sich nur an. Ihr Gesicht spiegelte widersprüchlichste Empfindungen, die er nicht zu lesen wusste. Zuletzt glätteten ihre Züge sich zu einem maskenhaften Lächeln.
„Hallo“, sagte sie. „Schön, dass du da bist.“
Er zuckte mit den Schultern. „Wo soll ich sonst sein? Es ist immerhin meine Ausstellung.“
Sie lachte ein hilfloses Lachen.
Er spürte, dass ihm etwas entging. Etwas passierte, in diesem Moment. Etwas, das falsch war und das er nicht stoppen konnte, weil er nicht verstand, was es war.
„Komm“, bat er. „Lass uns ein Stück gehen.“
„Wohin?“ Sie bewegte sich nicht.
„In den Hof.“ Seine Euphorie verblasste. „Wir nehmen den Hintereingang, dann müssen wir uns nicht durch die Leute drängeln.“
Sie zögerte noch immer.
Ihre Augen glitten hin und her, als suche sie etwas. Oder strebte danach, seinem Blick auszuweichen. „Gut“, sagte sie endlich.
Er stieß den Atem aus. „Hast du die Bilder gesehen?“, fragte er.
„Nur kurz.“ Sie blieben auf der anderen Seite des Torbogens stehen, der Linie zwischen Schatten und Licht.
„Was denkst du?“
„Sie sind schön.“ Helene betrachtete ihre Finger. Warum weigerte sie sich, ihn anzusehen? Sie wich ihm
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