Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
sind«, sagte Doris stolz. »Echte Spukgeister, das sind wir. Nur dass wir keinen eigenen Ort zum Spuken haben. Nachdem wir unser Elternhaus verloren hatten, haben wir uns einfach treiben lassen. Irgendwann sind wir den ganzen weiten Weg hier herübergetrieben!«
»Heiliger Bimbam, das klingt, als wäre es leicht gewesen!«, sagte Betty. »Zwei volle Jahre haben wir in einer Zweiter-Klasse-Kabine auf der Franconia gespukt, bevor wir da wieder wegkamen! Dass fließendes Wasser für Spukgeister eine widrige Angelegenheit ist, weiß ja jeder, aber wer hätte ahnen können, dass das auch für den Ozean gilt?«
»Oh, und dann waren wir eine Weile in New York«, fuhr ihre Schwester fort. Die beiden Stimmen klangen, als sprächen sie einem direkt ins Ohr, und die Damen wechselten gern blitzschnell die Seite, als ob jemand am Mischpult herumspielte. Selbst für mich, der ich so was eigentlich selbst zu Hause probieren sollte, konnte es ganz schön verwirrend sein. »Zu kalt dort. Darum sind wir hier herübergekommen!«
»Spukgeister frieren …?« Es klang, als bekäme Clarence, was das Reich des Übernatürlichen anging, nicht ganz die Antworten, die er erwartet hatte.
»Mehr so ideell«, sagte Doris. »Aber im Winter beißt es doch ein bisschen.«
»Oh, und das hat sie nie gemocht, unsere Dor, stimmt’s?«
»Stimmt, Schwesterherz, ich konnt’s nicht verknusen.«
»Wenn die Damen mit dem Erinnerungstrip fertig sind«, sagte ich, »könnten wir vielleicht über ein kleines Geschäft reden.«
Die Kaffeekanne bebte und stieß dabei unterm Deckel kleine Dampfschwaden hervor.
»Ooh, was hast du für uns?«
Ich zog die Tüte aus der Tasche und stellte sie just in dem Moment auf den Tisch, als die Kellnerin mit unserem Wasser kam, nur eine Viertelstunde, nachdem wir den Diner betreten hatten. Als sie wieder gegangen war, zog ich die Flasche heraus. Jetzt bebte auch das Sahnekännchen. »Oh, wie reizend!«, sagte Betty. »Schau, Doris! Yardley-Lavendelwasser!«
»Schnuppert mal«, sagte ich und schraubte die Flasche auf. Die Deckel von Kaffeekanne und Sahnekännchen sprangen auf, als das, was sich im Inneren befand, unsichtbar emporstieg und vermutlich zu der Lavendelwasserflasche schwebte.
»Versetzt einen gradewegs zurück«, sagte Doris verträumt (und immer noch unsichtbar). Inzwischen hatten die Paketdienstfahrer ein paar Tische weiter den recht intensiven Lavendelgeruch bemerkt, und ihrem Gesichtsausdruck nach fragten sie sich, was Clarence und ich da trieben.
»Erinnert mich dran, wie wir samstagsabends in die Tanzdiele gegangen sind«, flötete Betty und stöhnte, als ich die Flasche wieder zuschraubte. »Ach, du grausamer Kerl! Warum tust du das?«
»Weil ich Informationen brauche, Ladys, und zwar dringend. Ein paar nicht sonderlich nette Leute und ein paar erst recht nicht nette sonstige Kreaturen versuchen mich umzubringen. Ich will wissen, was ihr mir über sie sagen könnt.«
»Müssen wir weiter mit den Kannen reden?«, fragte Clarence. »Ich meine, wo sind sie jetzt? Sehen Sie sie? Ich nämlich nicht.«
»Ist er nicht merkwürdig?«, sagte Doris. »Armes Kerlchen.«
»Schätz dich glücklich, Kleiner«, erklärte ihm Betty. »Wenn wir dir im Sahnekännchen nicht gefallen – es könnte schlimmer sein. Manchmal sind wir in der Futterage. Da würdest du ganz schön vom Fleisch fallen, was? Wenn dein Hinkelbrötchen mit dir redet?«
»Futterage«, fragte der Frischling hilflos. »Hinkelbrötchen?«
»Hähnchensandwich«, übersetzte ich.
»Machen wir’s uns erst mal ein bisschen gemütlich«, sagte Doris, und plötzlich waren sie beide da. Na ja, nicht da im dreidimensionalen Sinn, aber auf nebulöse Art sichtbar, zwei leicht lila-blaue, vorwiegend durchsichtige und ziemlich mollige Damen mittleren Alters in einem Outfit, das ich immer den Vierzigerjahren zuordnete – dunkle Kleider, schwere Tuchmäntel und Hüte. Wir saßen in einer Vierernische, sodass Clarence jetzt Betty neben sich hatte und ich Doris. Clarence versuchte so zu tun, als machte es ihm gar nichts aus, rutschte aber immer weiter weg, bis er an die Wand stieß.
»Empfindliches Jungchen, was?«, sagte Betty. Ihr Hut war mit künstlichen Blumen geschmückt. »Schau nicht so ängstlich, Jungchen, ist doch noch gar nichts passiert!«
Als die Bedienung unser Essen gebracht hatte, erzählte ich allen am Tisch von den Ereignissen der letzten Tage. Ein paar Details musste ich auslassen, da der Junge sie wohl besser nicht erfahren
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