Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
dem nunmehr zugedeckten Leichnam darauf schließen ließen, dass als Ursache seines Dahinscheidens wohl eher ein »tragischer Unfall« angegeben werden würde, was oft eine höfliche Formulierung für »Tod durch eigene Blödheit« ist.
»Sie sind tot, Brady. Tut mir leid, aber ich werde mein Bestes tun, damit das hier für Sie so glatt läuft wie irgend möglich. Ich bin Doloriel, Ihr himmlischer Verteidiger.« Ich hatte bisher weder seinen Schutzengel noch einen Vertreter der Gegenseite gesehen, also erklärte ich ihm kurz, was jetzt gleich passieren würde.
Er schien nicht im Geringsten beeindruckt. Er war ein großer, kräftiger, gutaussehender Bursche und wirkte, als ob er normalerweise auf die eine oder andere Weise alles bekam, was er wollte. »Sie verarschen mich, oder? Ich glaube nicht an den ganzen Scheiß.«
»Tja, er glaubt an Sie , Brady, also ist es ziemlich egal, was Sie glauben.«
»Scheiß drauf. Ich gehe.« Und er drehte sich um und stolperte ins Dunkel davon. Normalerweise macht der Tod die Leute schlagartig nüchtern, aber es gibt Ausnahmen. Ich sorgte mich jedoch nicht weiter, dass er abhandenkommen könnte: Das Außerhalb ist nämlich kein eigener Ort, es ist die Zeitlosigkeit, die zu einem gegebenen Ort gehört – ein ewiger Moment, könnte man vielleicht sagen. Es ist an die Leute gebunden, die in diesem Moment physisch anwesend sind, ihn mitbekommen, das heißt, je weiter man sich von dem entfernt, was man im ursprünglichen Augenblick sehen konnte, desto unwirklicher wird alles, bis man schließlich nur noch Dunkel und ein paar bekannte Geräusche um sich hat. Dann, wenn auch diese Geräusche verstummen, rennt man gewöhnlich wieder ins Zentrum des Augenblicks zurück. Verstehen Sie, man kann nirgends anders hin. Sonst würden alle Engel und Teufel ständig insAußerhalb und wieder zurück huschen, als ob es eine Art Beammich-rauf-Einrichtung wäre, und sich gegenseitig durch die Reißverschlüsse hinterherspionieren. Aber so funktioniert das nicht. Na, egal, was ich sagen will, ist, dass Brady Tillotson nirgends hinkonnte.
Gleich darauf erschien sein Schutzengel, ein Lichtgebitzel namens Gefen. Kurz danach fand sich der Ankläger ein, Rotwood, ein Dämon, der so alt und knorrig war, als hätte er schon beim Einzug des Teufels die Hölle zu streichen geholfen. Ich war schon öfter gegen Rotwood angetreten – er beherrschte sein Handwerk, und manche Richter schienen von seiner Regelkenntnis beeindruckt, aber es gab furchterregendere Ankläger.
»Das wird nicht leicht«, sagte Gefen leise, während der Ankläger mit seiner Höllenversion eines Schutzengels konferierte.
»Warum?«, fragte ich.
»Weil unser Klient ein Arschloch ist.«
Es verstrich nur ein kurzer Moment an diesem zeitlosen Ort, ehe der Richter aufgleißte. Es war mein alter Freund Xathanatron, der Fürstentum-Engel, vor dem Sam an jenem Abend plädiert hatte, als Clarence das erste Mal mitgekommen war.
Engel Doloriel , sagte er zu mir, Sie werden wieder in die Himmlische Stadt gerufen . Pause, dann: Mir scheint, ich muss der Liste meiner Titel noch »Sekretär des Anwaltsengels« hinzufügen .
Das war ein Witz nach Engelboss-Art, also lachte ich und hoffte, dass es wenigstens ein bisschen echt klang. »Sehr komisch, Euer Ehren. Danke fürs Ausrichten. Ich hoffe, wir halten Sie hier nicht zu lange auf.«
Das ist einerlei – die Störung meiner Kontemplation hat bereits stattgefunden . Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass er immer noch diesen charmanten demokratischen Touch hatte.
Meine Beratung mit Gefen war gerade in dem Moment zu Ende, als mein toter Student wieder angestolpert kam, wobei seine Toga flatterte wie die Segel der Marie Celeste . Er wirktejetzt etwas nüchterner, aber immer noch genauso stinkig. Der Bericht des Schutzengels war zwar länger gewesen als seine bündige Aussage vorhin, lief aber aufs Gleiche hinaus – Brady Tillotson war ein Säufer, ein Kameradenschwein und wenn auch formal kein echter Vergewaltiger, weil er weder Betäubungsmittel noch brutale körperliche Gewalt angewandt hatte, so doch die Sorte Mann, die Frauen gern so betrunken macht, dass sie den Unterschied zwischen »einvernehmlich« und »nicht einvernehmlich« nicht mehr so genau mitkriegen. Er hatte sich durchs Studium gemogelt – als gesetzter Abwehrspieler des Footballteams fand er immer jemanden, der ihm Klausuren zu bestehen »half« – und Freunde bestohlen, und er war einer von denen, die sich auch Jahre nach
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