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Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)

Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)

Titel: Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dort oben im zeitlosen Himmel einfach noch nicht dazu gekommen waren, die »Bobby-Dollar-löschen«-Taste zu drücken, doch meiner Erfahrung nach neigte der Himmel nicht dazu, Strafmaßnahmen oder sonstige Akte heiliger Rache lange zu vertagen.
    Also blieben noch die beiden wahrscheinlichsten Antworten: Den Himmel kümmerte es nicht besonders, was mit mir passierte, ergo warteten sie einfach ab und ließen mich mein eigenes Grab schaufeln, oder aber der Himmel billigte das, was ichtat – und vermutlich auch das, was ich in nächster Zukunft tun würde. Was ziemlich lustig gewesen wäre, weil ich selbst keinen Schimmer hatte, was das sein könnte.
    Ich setzte eine Sonnenbrille auf, um zum Büro des Motelmanagers zu wanken und mir zwei Becher billigen Kaffees zu holen und sie in mein abgedunkeltes Zimmer mitzunehmen. Ein paar Aspirin, noch ein paar Aspirin, und ich war schon fast bereit, dem Tag samt allem, was er bringen mochte, ins Auge zu sehen. Als Erstes aber stand eine Selbstverteidigungsmaßnahme an.
    Orban der Büchsenmacher nahm etwa beim zehnten Klingeln ab. »Sprechen Sie.« Er hat einen osteuropäischen Akzent und eine Stimme, als steckte ihm ein Stachelschwein im Hals. Die Erklärung, die er mir mal gegeben hat, lautete, dass er im Ersten Weltkrieg einen Halsschuss abgekriegt habe und die Sache nie mehr ganz in Ordnung gekommen sei. Ich glaubte ihm. Würden Sie auch tun.
    »Hier ist Bobby Dollar. Ich brauche Silber.«
    »Hmmm.« Ein Geräusch, als ob jemand mit einem Stock einen Lattenzaun entlangfährt. »Kugeln oder was anderes?«
    »Kugeln. Aber ich muss mit Ihnen drüber reden. Sind Sie heute da?«
    »Vierzehn Uhr«, sagte er und legte auf.
    Orbans Fabrik war ganz am Ende von Pier 22 – einem der Salz-Piers. Vor dreißig, vierzig Jahren gehörte der südlichste Teil des Hafens von San Judas der Leslie Salt Company. Die gewann Salz aus dem Wasser der Bay und häufte es zum Trocknen zu Bergen auf, einer Miniatur-Alpenkette inmitten der wenig tirolerischen Szenerie von Belle Haven und Ravenswood. Vor etwa zehn Jahren waren die Salzleute zu einer anderen Gewinnungstechnik übergegangen, die weniger Platz brauchte, also hatten sie einen Teil des südlichsten Hafenzipfels verkauft. Das meistewar jetzt Naturschutzgebiet, aber einige Piers, von denen einst das Salz auf Containerschiffe verladen worden war, hatte man in Wohn- und Geschäftskomplexe umgewandelt, und die heruntergekommensten ganz am Ende waren als »Lebens- und Arbeitsräume« verkauft worden. Viele Künstler hatten sich mit finanzieller Unterstützung durch die Stadt dort niedergelassen, aber auch einige kleinere Betriebe waren eingezogen, darunter der von Orban. Er hatte einen Ort gesucht, an dem er zu jeder Tages- und Nachtzeit Lärm machen konnte.
    Und Lärm machte er. Heute hörte ich seine Maschinen und das Hämmern schon in der Einfahrt des rissigen Asphaltparkplatzes, der um diese Zeit fast voll war, in der Nacht aber so leer sein würde wie die Wüste Gobi. Inzwischen hatte Orban hier am Ende von Pier 22 ein florierendes kleines Unternehmen: eine Kollektion von langen, niedrigen Gebäuden, voll mit Fräs-, Biege-, Niet- und weiß der Himmel was noch für Maschinen, die hauptsächlich von Schwarzen und Hispanics bedient wurden, während sich an Werkbänken im vordersten Teil des Komplexes lauter bärtige Weiße, die aussahen, als zögen sie am Wochenende mit der regierungsfeindlichen Miliz herum, an den verschiedensten Teilen von Schusswaffen zu schaffen machten – nachmaßen, feilten, polierten. Am anderen Ende, der Sicht entzogen, befanden sich der Raum mit den sandgefüllten Eimern, der als Schießstand diente, und das, was Orban seine Veranda nannte, eine übers Wasser hinausragende Metallplattform, auf der er ein paar Stühle stehen hatte, damit er hier sitzen und, wenn das Wetter es erlaubte, über die Bucht bis zum Newark Ferry Port blicken konnte.
    Der Büchsenmacher selbst hatte einen kurzen, grauen Bart und dickes, graues Haar, das eine natürliche Mönchstonsur bildete. Wenn man ihn so sah, hätte man ihn für einen fitten Fünfundsechzigjährigen gehalten. Laut seiner eigenen Aussage trieb er sich aber schon etwa fünfhundert Jahre länger auf der Erdeherum. Wegen irgendeines Vorfalls bei der Belagerung von Konstantinopel im 15. Jahrhundert hatte er es sich mit dem Himmel verdorben (jedenfalls erzählte er mir das eines Abends bei ein paar Gläsern gehaltvollen Rotweins, während wir darauf warteten, dass einer seiner

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