Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
gesehen hatte. Er war Oberhaupt einer der Familien, deren Wappen auf der Rückseite ihres Kruzifixes eingraviert waren.
Es waren Angehörige der Familie Vatatzes, die Zoes Vater im Jahre 1204 bestohlen hatten. Erst hatten sie versprochen, ihm bei der Flucht behilflich zu sein, und ihn dann hintergangen, indem sie alle Reliquien, Ikonen und historischen Dokumente für sich behielten, die im ganzen byzantinischen Reich nicht ihresgleichen hatten. Sie waren nach Ägypten ins Exil gegangen, hatten ihre Beute in Alexandria verkauft und sich mit dem Erlös behaglich dort eingerichtet, während sich Zoes Vater als Witwer mit seinem Töchterchen auf die Erträge seiner Hände Arbeit angewiesen sah, um überleben zu können.
Jetzt also war Arsenios nach Konstantinopel zurückgekehrt, und er schien reich zu sein. Die Zeit war reif. Sie wandte sich ab, damit er sie nicht ebenfalls erkannte.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Zwar gab es Dutzende
von Möglichkeiten, einen Menschen zugrunde zu richten, doch wo er am ehesten verwundbar war, hing von so manchen Faktoren ab: seinen Lebensumständen, seinen Stärken und Schwächen, seinen Freunden und Feinden, seinen Angehörigen oder anderen Menschen, die ihm nahestanden. Arsenios war gerissen, wohlhabend und mächtig – immerhin hatte das Haus Vatatzes Byzanz zur Zeit des Exils in den Jahren zwischen 1221 und 1254 regiert. Arsenios’ Vetter Grigorios war Irenes Gemahl, die durch ihre Abkunft aus der Dynastie der Doukas ebenfalls dem Hochadel angehörte. In diesem Fall kam ausschließlich eine Rache infrage, die tiefste Schande über die Familie brachte. Doch was konnte das sein?
Nach Hause zurückgekehrt, ging sie unruhig auf und ab, trat vor das große Kreuz, richtete den Blick darauf und sah dessen Rückseite vor ihrem inneren Auge. Eines ihrer Ziele hatte sie bereits erreicht, eines der vier Wappen hatte jede Bedeutung verloren. Jetzt war die Reihe an den Vatatzes.
Für wen mochte Arsenios das Halsgeschmeide erworben haben? Zweifellos für eine Frau, die ihm nahestand. Doch wer war das?
Es dauerte nicht lange, bis sie in Erfahrung gebracht hatte, dass er verwitwet war und seine Tochter Maria demnächst den Spross der nicht nur überaus reichen, sondern auch mächtigen und ehrgeizigen Familie Kalamanos heiraten sollte. Ihr Kapital waren ihre Schönheit und ihre Abstammung, und damit gedachte Arsenios zu trumpfen. Hier sah Zoe einen Ansatz für ihr Vorhaben, sich für die Demütigung zu rächen, die sie in all den Jahren in Syrakus durchlebt hatte.
Langsam entwickelte sie ihren Plan, wie sie Arsenios nicht nur dafür würde zahlen lassen, sondern auch dafür,
dass seine Familie Byzanz verraten und im Stich gelassen hatte.
In Anastasios Zarides sah sie das vollkommene Werkzeug ihrer Rache. Als sie aber an ihre letzte Begegnung mit ihm dachte, überkam sie eine sonderbare Mischung aus Empfindungen. Anfangs hatte sie angenommen, es sei ihm gelungen, den Mönch Kyrillos durch einen bloßen Zufall zu retten. Solche Zufälle gab es von Zeit zu Zeit. Doch dann hatte sie in seinen Augen etwas erkannt, was sie argwöhnen ließ, ihr Versuch, Kyrillos zu vergiften, sei ihm ebenso bewusst gewesen wie die Art und Weise, auf die sie das hatte bewirken wollen.
Sie sah Anastasios förmlich vor sich, wie ein Spiegelbild auf einer polierten Oberfläche: sie selbst und doch nicht sie selbst. Die Kleidung unterschied sich, die Gestalt, die ohne die üppigen Rundungen von Busen oder Hüfte war. Doch die Linie des Halses, das fein gezeichnete Gesicht schienen ihr einen winzigen Augenblick lang dieselben zu sein.
Natürlich war es eine Sinnestäuschung. Die Ähnlichkeit bestand im inneren Feuer, in der Härte des Wesens.
Freilich hatte Anastasios bedenkliche Schwächen. Er sah über Fehler anderer hinweg, war versöhnlich und trug niemandem etwas nach. Das würde ihm früher oder später zum Verhängnis werden. Wer unfähig war zu hassen, lebte nur halb. Zwar konnte Zoe ihn, von alldem abgesehen, recht gut leiden, doch reizte sie ein solcher Charakterfehler bis zur Weißglut. Für sie war das so, als hätte jemand das Gesicht eines ansonsten vollkommenen Standbildes durch eine Kerbe im Stein entstellt. Zwar war die Verstümmelung seiner Mannheit schlimm, doch war er zu jung, als dass sie sich für ihn als Mann interessiert hätte. Andererseits ließ sich bei einem Eunuchen nie genau sagen, wie alt er war.
Ungeduldig rief sie sich zur Ordnung. Wichtig war jetzt einzig und allein, dass sich
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