Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
»Natürlich nicht, entschuldigt.«
»Anastasios …« Er schluckte. Sein Gesicht war bleich. »Nehmt Euch vor Helena in Acht, vor all diesen Menschen. Es gibt so vieles, was Ihr nicht versteht. Dabei geht es um Leben und Tod, Grausamkeit, Hass, alte Schulden und Träume, lauter Dinge, von denen diese Menschen nicht lassen wollen.« Er beugte sich näher zu ihr. »Zwei Männer sind bereits tot, der dritte lebt in der Verbannung, und das ist bei weitem nicht alles. Dient Gott auf Eure Weise, heilt die Kranken, und lasst alles andere auf sich beruhen.«
Mit ihm zu rechten wäre sinnlos und ungehörig gewesen. Sie hatte ihm nicht die Wahrheit gesagt – wie konnte er sie da verstehen? Ihr Versuch, einander zu erreichen, schlug fehl – ihn band das Beichtgeheimnis, und sie musste ihm verheimlichen, warum sie die Dinge nicht auf sich beruhen lassen konnte.
»Danke«, sagte sie. »Danke, dass Ihr mir zugehört habt.«
»Wir wollen gemeinsam beten«, gab er zur Antwort. »Kommt.«
Sie hatte einen der Eunuchen im Kaiserpalast wegen einer schweren Atemwegsinfektion behandelt und die ganze Nacht bei ihm gewacht, bis die Krisis vorüber war; gleich darauf hatte der Kaiser sie wegen eines leichten Hautjuckens kommen lassen. Sie befand sich noch bei ihm, als Angehörige seiner Leibwache zwei päpstliche Legaten aus
Rom hereinbegleiteten, die Bischöfe Palombara und Vicenze. Die kampferprobten sehnigen Waräger waren Tag und Nacht um den Kaiser, ganz gleich, ob der Anlass feierlich oder alltäglich war, ob offiziell oder privat.
Da der Kaiser Anna noch nicht entlassen hatte, trat sie ein wenig beiseite. Als sie Vicenze erkannte, fiel ihr sogleich die unerquickliche Reise nach Bithynien ein, in deren Verlauf Kyrillos Choniates beinahe umgekommen wäre.
Neben den üblichen Begrüßungsformeln wurden Wünsche für das gegenseitige Wohlergehen ausgetauscht, von denen kein einziger ernst gemeint war. Nikephoros, der neben Anna stand und nach außen hin völlig unbeteiligt schien, verfolgte jede noch so geringe Regung der beiden. Nur einmal warf er Anna einen kurzen Seitenblick zu und lächelte dabei. Ihr war klar, dass es seine Aufgabe war, als Zeuge alles Gesagte und Ungesagte in sich aufzunehmen und anschließend Kaiser Michael seinen Rat zu geben. Sie war froh über seine Anwesenheit.
»Gewisse Kreise sehen nach wie vor nicht ein, wie notwendig es ist, dass sich die gesamte Christenheit als Einheit darstellt«, sagte Vicenze mit kaum verhohlenem Unwillen. »Wir müssen entscheidende Schritte unternehmen, um zu verhindern, dass sie in der Bevölkerung weiterhin Unruhe schüren.«
»Ich bin überzeugt, dass das dem Kaiser bewusst ist«, sagte Palombara mit einem unzufriedenen Seitenblick zu Vicenze.
»Das kann nicht sein«, gab Vicenze hitzig zurück. »Sonst hätte er diesen Punkt von sich aus angesprochen. Ich möchte lediglich darauf hinweisen und um Rat bitten.« Er sah kalt und verächtlich zu seinem Amtsbruder hin.
Auch in dem Lächeln, mit dem Palombara darauf reagierte,
lag keinerlei Wärme. »Seine Majestät wird uns nicht alles sagen, was er weiß, Monsignore. Er dürfte seine Untertanen kaum in die Sicherheit dieser Stadt zurückgeführt haben, wenn er sie nicht mit all ihren Leidenschaften genauestens gekannt hätte oder ihm die Fähigkeit oder der Mut abgegangen wäre, sie zu beherrschen.«
Es fiel Anna schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. Die Sache versprach fesselnd zu werden. Ganz offensichtlich sprach Rom nicht mit einer Stimme, auch wenn möglicherweise lediglich Ehrgeiz oder persönliche Feindschaft der Grund dafür war.
Palombara sah erneut zum Kaiser hin. »Die Zeit ist knapp, Majestät. Gibt es eine Möglichkeit, wie wir Euch beistehen könnten? Gibt es Führer der Kirche, mit denen wir sprechen können, damit diese gewisse Befürchtungen Eurer Untertanen zerstreuen?«
»Ich habe bereits mit dem Patriarchen gesprochen«, teilte ihm Vicenze mit. »Er ist ein ausgezeichneter Mann von großem Verständnis und Weitblick.«
Ganz kurz trat auf Palombaras Gesicht ein Ausdruck, der zeigte, dass ihm dieser Schritt seines Amtsbruders unbekannt war. Dann verbarg er sein Erstaunen hinter einem Lächeln. »Ich glaube nicht, dass wir uns auf den Patriarchen konzentrieren sollten. Ehrlich gesagt denke ich, dass die Mönche in bestimmten Klöstern Rom misstrauen. Aber möglicherweise habt Ihr andere Informationen als ich.«
Vicenzes bleiche Wangen röteten sich, und sein Groll war so groß, dass er es vorzog,
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