Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
mit denen er die Linien nachfuhr, wobei sich die Ikone ein wenig bewegte, so dass sich das Licht in den Edelsteinen brach.
Sie stand reglos da und sah zu.
Er wandte sich zu ihr um und musterte sie aufmerksam, wie sie steif dastand und so tat, als falle es ihr unendlich schwer, sich von der Ikone zu trennen. Es war überdeutlich zu sehen, wie sehr er das alles genoss. Es war sein Wunsch, ihre Angst zu erkennen.
Sie setzte zum Sprechen an, sagte aber nichts.
Mit einem Lächeln wandte er sich erneut der Ikone zu. »Ein erlesenes Stück«, sagte er mit einer Stimme, in der ungewollt Ehrfurcht mitschwang. »Aber recht ähnlich einer, die ich bereits habe.«
Das war unerheblich. Obwohl sie nicht im Traum daran dachte, ihm die Ikone zu überlassen, bemühte sie sich, bekümmert und vor allem ängstlich dreinzublicken. Wieder setzte sie zum Sprechen an, ohne ein Wort herauszubringen. Sie richtete den Blick auf ihn und sah ihn flehend an. Dabei stellte sie sich vor, er sei sein Bruder Grigorios, möglicherweise der einzige Mann, den sie je um seiner selbst willen geliebt hatte. Ach, wie viele Jahre das her war!
Arsenios betastete die Vorderseite des Bildes, nahm es auf und betrachtete aufmerksam die Rückseite, wobei sein Blick zwischen ihr und der Ikone hin- und herwanderte. Dabei fiel ihm der winzige Nagel auf, dessen Spitze sie ein klein wenig hatte vorstehen lassen, und er lächelte breit.
Sie gab sich Mühe zu erschauern. Wenn es in ihren Kräften gestanden hätte, wäre sie sogar erbleicht.
»Wie unachtsam«, flüsterte er. »Das bin ich von dir gar nicht gewohnt.«
»Entsch… schuldigung«, stotterte sie und fasste nach dem Dolch, den sie in den Falten ihrer Tunika verborgen hielt. Während sie ihn so weit hervorholte, dass er ihn sehen konnte, brach sich das Licht in den Edelsteinen, mit denen die Scheide besetzt war.
Mit einem Satz sprang Arsenios auf sie zu. Als er ihre Handgelenke kraftvoll umklammerte, schrie sie vor ungespieltem Schmerz auf. Zwar war sie, für eine Frau ungewöhnlich, ebenso groß wie er, ihm aber an Körperkräften unterlegen. So gelang es ihm mühelos, ihr die Waffe zu entwinden
und ihr das Handgelenk so fest auf den Rücken zu drehen, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Er stand so dicht neben ihr, dass sie seinen Wutschweiß riechen und die Poren seiner Haut sehen konnte.
»Nur ein kleiner Kratzer, und ich wäre tot gewesen, nicht wahr?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Eine zufällig hervorstehende winzige Nagelspitze, ein Unfall. Warum, Zoe? Weil Grigorios dich nicht heiraten wollte? Du Närrin! Glaubst du wirklich, er hätte Irene – eine Doukas – für dich aufgegeben? Wozu? Er konnte doch ohnehin bei dir liegen, wann immer ihm der Sinn danach stand. Eine Hure macht man nicht zu seiner Gemahlin.«
Sie brauchte weder Wut noch Schmerz zu heucheln. Ihre Augen blitzten, als sie die Waffe wieder an sich zu reißen versuchte, wobei sie absichtlich danebengriff.
Er stieß ein hässliches Lachen aus und zerrte am Griff des Dolches, um ihn aus der Scheide zu ziehen. Die Klinge rührte sich nicht, und er zerrte heftiger. »Du wolltest mich umbringen«, sagte er mit siegesgewisser Stimme. »Das, und nur das, war der Zweck deines Besuchs. Wir sind aneinandergeraten, dabei bist du ausgeglitten und in deinen eigenen Dolch gefallen, trotz all meiner Mühe, das zu verhindern. « Triumphierend bleckte er die Zähne. Erneut zerrte er am Griff des Dolches, wobei er die Scheide mit der anderen Hand festhielt. Dann spürte er die winzige metallene Spitze, die in sein Fleisch drang.
Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis er erfasste, was geschehen war. Als ihn der Schmerz durchfuhr, öffneten sich seine Augen weit, und er sah sie mit plötzlichem Begreifen an.
Sie stand jetzt aufgerichtet da, die Schultern gestrafft, den Kopf hoch erhoben, aber so weit von ihm entfernt,
dass er sie nicht einmal erreichen konnte, wenn er nach vorn fiel. Ein siegesgewisses Lächeln lag auf ihren Zügen.
»Mit Grigorios hat das nichts zu tun«, sagte sie, während er auf die Knie stürzte, das Gesicht bläulich angelaufen, die Hände um den Unterleib gekrallt. »Ich habe von ihm alles bekommen, was ich wollte.« Das entsprach in etwa der Wahrheit. »Es geht ausschließlich darum, dass dein Vater uns die Ikonen gestohlen hat, als die Stadt brannte. Ihr habt die Reliquien meiner Familie an euch gebracht und behalten. Ihr seid zu Verrätern an Byzanz geworden, und dafür musst du mit deinem
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