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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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eleganten und geschmackvoll eingerichteten Schlafzimmer musterte Anna aufmerksam Irene Vatatzes, die mit Blutspuren auf ihrer zerknitterten Kleidung im Bett lag. Am Hals hatte sie Flecken von Salbe, außerdem war an zwei Stellen gelblicher Eiter ausgetreten. Sie hatte ein offenes Geschwür auf der rechten Wange und in der linken Gesichtshälfte eines unmittelbar unter dem Kiefer. Ihre Hände
waren voller roter Striemen, die bis auf die Arme reichten, und an einigen Stellen entstanden Eiterbläschen.
    Von Dimitrios hatte Anna erfahren, dass sein Vater Grigorios bald aus Alexandria zurückkehren würde, diesmal für immer. Irenes Kummer war offenbar weit größer als ihre Schmerzen.
    »Sind noch andere Körperpartien betroffen?«, fragte Anna zurückhaltend.
    Irene warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Das spielt keine Rolle.« Sie machte eine heftige Handbewegung. »Heilt mein Gesicht, tut, was nötig ist. Auf die Kosten soll es mir nicht ankommen.« Sie holte tief Luft. »Auch der Schmerz ist nicht wichtig.« Ihre Stimme klang brüchig.
    Fieberhaft überlegte Anna, mit welcher Art von Behandlung sie dem Leiden am ehesten beikommen konnte. Was vermochte die ärztliche Kunst, ganz gleich, ob christliche, jüdische oder arabische, wenn Irenes Angst die Krankheit ausgelöst hatte?
    Sie stellte sich die Verletzungen vor: die Zurückweisung der klugen und empfindsamen, aber unansehnlichen Irene zugunsten der sinnlichen Zoe, die lachend genoss und dann davonging, die sich nahm, was sie wollte, ohne etwas zu brauchen. Gehörte Grigorios zu den Männern, die von dem gelangweilt wurden, was sie haben konnten, und sich von dem verlocken ließen, was sie nicht haben konnten? Wie oberflächlich, wie grausam – aber auch wie verständlich.
    Welchen Sinn hatte es, die Haut äußerlich zu heilen, nur damit die Wunden gleich darauf erneut aufbrachen?
    »Steht nicht herum wie ein Tölpel!«, fuhr Irene sie an und drehte sich ein wenig auf die Seite, um zu ihr hin zu sehen. »Wenn Ihr nicht wisst, was Ihr tun sollt, sagt es, dann
rufe ich einen anderen. Wenn es Euch an Geld fehlt, nehmt Euch in Gottes Namen, was Ihr braucht, aber seht mich nicht an, als wenn Ihr der Ansicht wäret, ich müsste mich selbst heilen. Was werdet Ihr mir sagen? Dass ich beten soll? Glaubt Ihr denn, ich hätte nicht mein ganzes Leben hindurch gebetet, Ihr törichter …« Abrupt wandte sie sich ab, und Tränen liefen ihr über die verunstalteten Wangen.
    »Ich überlege, welche Möglichkeiten es gibt und was sich am besten für Euch eignet«, sagte Anna mit freundlicher Stimme. Irgendeine Art von Betäubungsmittel würde die Unsicherheit lindern, die es Irene unmöglich machte, ihre Leidenschaftlichkeit oder ihren Zorn zu zeigen. Vielleicht würde es ihr sogar gestatten, unterhaltsam zu sein und sich der vollständigen Vereinnahmung durch Grigorios zu entziehen. Das wäre zwar nur eine kurzfristige Lösung, aber welchen Sinn hatte eine langfristige Heilung, wenn Irene jetzt vor Elend verging?
    »Ich werde Euch eine kühlende Salbe auftragen«, sagte sie.
    »Es ist mir gleich, wie sie sich anfühlt, Dummkopf!«, schrie Irene sie an. »Seht Ihr denn nicht, wie Ihr …«
    »… die auch die Rötung verschwinden lässt«, beendete Anna gelassen ihren Satz. Irene wollte, dass man sie verstand, doch sofern Anna das gelang, wäre das ebenfalls unerträglich, eine weitere Demütigung. »Außerdem einen Aufguss, um die Heilung von innen voranzutreiben, damit die Geschwüre nicht erneut aufbrechen«, fügte sie hinzu. »Mit ihnen müssen wir einfach ein wenig Geduld haben. Ich wasche die Stellen mit einer Lösung, die ich vorbereitet habe, und lege leichte Verbände an, um die Haut zu schützen.«

    Irene schien ziemlich betreten zu sein, dachte aber nicht daran, um Entschuldigung zu bitten. Ärzte waren so etwas wie gute Diener, auf keinen Fall Gleichgestellte. »Danke«, sagte sie unbeholfen.
    Anna ließ sich von einer Dienerin sauberes Wasser geben und goss aus einem kleinen Gefäß eine geringe Menge Flüssigkeit hinein, deren scharfer Geruch sogleich die Luft im Raum erfüllte. Er wirkte kräftigend und nicht unangenehm. Dann ging sie daran, behutsam jede einzelne der offenen Wunden auszuwaschen. Sie ließ sich Zeit, weil sie ihren Aufenthalt möglichst lange ausdehnen wollte.
    Nach ihrem vorigen Besuch hatte sie sich immer wieder durch den Kopf gehen lassen, was Dimitrios gesagt hatte. Seine Worte kamen ihr nach wie vor widersinnig vor. Peinlich berührt

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