Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
hat viel darüber gesprochen, aber wenig getan. Immer hieß es ›morgen‹, und wie Ihr wisst, hat es für ihn eines Tages kein Morgen mehr gegeben.«
»Ja, ich habe gehört, jemand habe ihn ermordet.« Es fiel ihr schwer, die Worte herauszubringen.
Basilios sah auf die Tischplatte und seine knochige Hand, in der er den Becher mit dem Minze-Aufguss hielt. »Ja, Antonios Kyriakis. Man hat ihn dafür hingerichtet.«
»Und was ist mit Ioustinianos Laskaris?«, sondierte sie
vorsichtig. »Hat es auch gegen ihn ein Gerichtsverfahren gegeben?«
Er hob den Blick. »Selbstverständlich. Der Kaiser selbst hatte den Vorsitz. Allem Anschein nach hatte Ioustinianos dem Mörder geholfen, die Tat wie einen Unfall erscheinen zu lassen, indem sie den Leichnam beiseiteschafften. Ich nehme an, sie dachten, man würde ihn nie finden. Das Urteil lautete auf lebenslängliche Verbannung.«
Sie schluckte. » Wie kann man es denn anstellen, dass eine Leiche nicht gefunden wird?«
»Sie haben Bessarion ins Meer geworfen. Die Netze, in denen man ihn gefunden hat, stammten angeblich aus Ioustinianos’ Boot.«
»Aber das beweist doch nicht, dass er davon gewusst hat!«, begehrte sie auf. »Vielleicht hatte Antonios kein Boot, und er hat sich einfach das von Ioustinianos genommen.«
»Die beiden waren eng befreundet«, gab Basilios ruhig zurück. »Antonios hätte nie im Leben jemanden mit in die Sache hineingezogen, den er so gut kannte. Schließlich gab es eine ganze Anzahl von anderen Booten, die er hätte nehmen können.«
Das leuchtete ihr ein. »Aber würde jemand wie Ioustinianos solche verräterischen Hinweise hinterlassen, die ihn als Mittäter erscheinen ließen?« Sie kannte die Antwort. Sie selbst hätte nie einen solchen Fehler begangen, und das galt auch für ihn. »Steht überhaupt fest, dass Antonios schuldig war? Welchen Grund hätte er gehabt, Bessarion zu töten?«
Basilios schüttelte den Kopf. »Ich ahne es nicht. Vielleicht haben sie gestritten, dabei ist Bessarion über Bord gefallen und in Panik geraten. Es ist nicht einfach, jemandem aus dem Wasser zu helfen, der um sich schlägt – er bedeutet für andere eine ebenso große Gefahr wie für sich selbst.«
Anna stellte sich vor, wie Ioustinianos die Beherrschung verlor und heftiger zuschlug als beabsichtigt. Er war kräftig. Vielleicht hatte Bessarion das Gleichgewicht verloren, war untergegangen, nach Luft ringend wieder hochgekommen und hatte um Hilfe gerufen. Wäre Ioustinianos da in Panik geraten? Nie und nimmer, es sei denn, sein Charakter hätte sich ganz und gar verändert. Er war nie feige gewesen. Sofern er die Absicht gehabt hätte, Bessarion zu töten, hätte er die Leiche mit Steinen beschwert und wäre weit in den Bosporus hinausgerudert, um sie dort verschwinden zu lassen, wo niemand sie je finden würde.
Mit einem Mal fühlte sie sich sonderbar erleichtert. Hier hatte sie den ersten greifbaren Hinweis, etwas, woran sie sich halten konnte. Selbst wenn sie noch nicht wusste, was sich damit anfangen ließ, zeigte es ihr unwiderleglich, dass ihr Bruder schuldlos war. »Das klingt aber doch wirklich nach einem Unfall«, bemerkte sie.
»Möglich«, räumte Basilios ein. »Vielleicht hätte man es auch als solchen durchgehen lassen, wenn jemand anders das Opfer gewesen wäre.«
»Und warum nicht bei Bessarion?«
Basilios machte eine leichte Geste des Abscheus. »Helena, seine Witwe, ist sehr schön. Ioustinianos ist zwar fromm, sieht aber gut aus, ist wortgewandt, witzig und besitzt einen trockenen Humor. Als Witwer brauchte er sich keine Beschränkungen aufzuerlegen.«
»Ich verstehe …« Die Witwenschaft hatte in Anna ein tiefes Gefühl des Verlusts erzeugt, aber das war etwas anderes. Nach Eustathios’ Tod hatte sie Schuldbewusstsein und zugleich Erleichterung empfunden. Er war nicht nur aus guter Familie und wohlhabend gewesen, sondern hatte auch an der Spitze seiner Krieger Mut und Geschick bewiesen.
Mit seinem Mangel an Vorstellungskraft allerdings hatte er sie gelangweilt und schließlich abgestoßen. Außerdem war er brutal gewesen. Noch immer stieg Ekel in ihr auf, wenn sie nur daran dachte. Die Leere in ihrem Inneren schien sie so sehr anzufüllen, dass es ihr vorkam, als müsse sie aus ihrer Haut platzen. Sie war unvollständig, möglicherweise ebenso sehr wie der Eunuch, der zu sein sie vorspiegelte.
»Glaubt Ihr denn, dass sich Ioustinianos zu Helena hingezogen fühlte?«, fragte sie ungläubig. »Sagen die Leute
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