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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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wies auf die Regale und die Schubladen in den Kommoden, »ausschließlich, wenn es für die Genesung unerlässlich ist. Ich habe alle zu jeder Krankheit gehörigen Heiligenfeste auswendig gelernt, wie auch die für jeden Wochentag.« Sie sah ihn an, um festzustellen, ob er ihr Glauben schenkte. Sie verstand zu viel von Anatomie und von der Heilkunde der Juden und Araber, um wie andere christliche Ärzte zu glauben, dass Krankheiten von Sünde verursacht wurden oder Reue sie heilte, aber es war nicht klug, das zu sagen.
    In Schachars Augen blitzte belustigtes Verstehen auf, das aber seine Lippen nicht erreichte. »Das meiste von dem, was Ihr braucht, kann ich Euch verkaufen«, sagte er schließlich. »Und was ich nicht habe, findet Ihr vielleicht bei Abd al-Qadir.«
    »Das wäre wunderbar. Habt Ihr thebanisches Opium?«
    Er schürzte die Lippen. »Dafür müsstet Ihr zu Abd al-Qadir gehen. Braucht Ihr es dringend?«
    »Ja. Ich behandle einen Patienten damit und habe kaum noch etwas. Kennt Ihr einen guten Chirurgen für den Fall, dass der Stein nicht auf natürlichem Wege abgeht?«
    »Ja«, gab er zur Antwort. »Aber habt Geduld. Man sollte das Messer nur ansetzen, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Während er sprach, wog er ab, maß, verpackte und beschriftete alles, was sie mitnehmen wollte.
    Während sie zahlte, was er verlangte, sah er sie eine Weile aufmerksam an und sagte dann entschlossen: » Wir wollen sehen, ob Abd al-Qadir das thebanische Opium für Euch hat. Falls nicht, habe ich etwas, was nicht ganz so gut ist, aber den Zweck durchaus erfüllt. Kommt.«
    Sie folgte ihm und fragte sich im Stillen, ob dieser Araber möglicherweise der Chirurg war, den ihr
Schachar für Basilios empfehlen würde. Wie würde das ihr durch und durch griechischer Patient aufnehmen? Aber vielleicht erwies sich das Eingreifen des Chirurgen auch als unnötig.

KAPİTEL 5
    Zoe Chrysaphes stand am Fenster ihres großen Empfangsraumes und sah über die Dächer der Stadt zum Goldenen Horn hinüber, dessen Wasser im Sonnenlicht aussah wie flüssiges Metall. Ihre Hände liebkosten die von der Sonne gewärmten Steine der Brüstung. Konstantinopel zeigte sich ihren Augen wie ein mit Edelsteinen verziertes Mosaik. Die alte Pracht des Valens-Aquädukts lag hinter ihr, seine Bögen schwangen sich von Norden herüber wie von einem Titan aus der römischen Vergangenheit hingestellt, einem Zeitalter, in dem Konstantinopel – damals Byzanz – die östliche Hälfte eines Weltreichs beherrschte. Zur Rechten lag die Akropolis, die ihr wegen ihrer Sprache, Kultur und ihres griechischen Ursprungs sehr viel näher war als jener. Obwohl die Blütezeit des byzantinischen Reiches schon lange vor ihrer Geburt zu Ende gegangen war, erfüllte der Gedanke daran sie mit Stolz.
    Sie sah die Wipfel der Bäume, hinter denen die Ruinen des Bukoleon-Palasts verborgen waren, wohin ihr Vater sie als Kind mitgenommen hatte. Sie versuchte, diese angenehmen Erinnerungen in sich wachzurufen, doch sie waren zu fern und entglitten ihr.
    Einen Augenblick lang übergoss der Glanz der untergehenden Sonne die zerfallenen Mauern mit einem goldenen
Schleier und verhüllte so den hässlichen Anblick, den sie boten.
    Auch wenn seither viele Jahrzehnte vergangen waren, sie würde nie vergessen, wie der Feind in die Stadt eingedrungen war und ihre Herrlichkeit achtlos unter seinen Stiefeln zertreten hatte. Was sie jetzt vor sich sah, war eine geschändete Stadt, die dennoch nach wie vor entschlossen war, das Leben mit aller Leidenschaft bis zur Neige auszukosten.
    Das Licht des späten Abends war gütig zu ihr. Obwohl sie schon über siebzig Jahre alt war, saß ihre Gesichtshaut noch straff auf den Wangenknochen. Ihre goldfarbenen Augen lagen tief im Schatten der geschwungenen Brauen. Ihr Mund, der immer etwas zu breit gewesen war, hatte nach wie vor volle Lippen. Ihre Haare schimmerten nicht mehr so seidig wie einst und waren eher braun als rötlich, doch immerhin verdeckten die Färbemittel das Grau darin.
    Noch eine Weile sah sie zum Lichtschimmer von Galata hinüber, während ihre Diener im Hause die Fackeln entzündeten. Im Osten wurde es rasch dunkel, und über dem Hafen lagen purpurne Töne. Die Türme und Kuppeln der Stadt zeichneten sich schärfer als zuvor vor dem Emailblau des Himmels ab. In Gedanken vereinigte sie sich mit dem Herzen der Stadt, jenem Teil, der mehr war als Paläste oder Schreine, auch mehr als die Hagia Sophia oder der Lichterglanz über dem Meer.

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