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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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mir nicht übel, was ich Euch jetzt sagen muss«, fuhr sie mit betont sanfter Stimme fort, ohne auf ihre Wunde zu achten, als spüre sie die Klinge nicht einmal. »Sie wollte sich wohl nicht um einen kleinen Jungen kümmern müssen. Diese Aufgabe scheint ihr lästig gewesen zu sein. Sie hat sich wieder ihrem früheren Leben zugewandt, aber kein anständiger Mann wollte etwas von ihr wissen.«
    » Wie hat sie … gelebt?«, fragte Giuliano mit brüchiger Stimme.
    Anna hob den Blick und sah, dass Zoes goldfarbene Augen von ihrem Messer zu ihrem Gesicht emporwanderten. Sie konnte den Triumph, den Zoe empfand, darin so deutlich erkennen, als hätte sie ihn in Worte gefasst. Sie beugte sich erneut über den Splitter.
    »Schreckt Ihr vor der Aufgabe zurück, Anastasios?«, fragte Zoe. »Geht es über Eure Kräfte?«
    An Zoes Lächeln, das so hell wie eine Flamme war, erkannte Anna, dass sie ihre Verkleidung durchschaut hatte. Sie erstarrte innerlich. War es wirklich denkbar, dass Zoe ihr Geheimnis erraten hatte?
    Sie senkte erneut den Blick und stieß die Spitze ihrer Lanzette mit voller Absicht in die Haut, sah auf das Blut, das erst in kleinen Tropfen heraussickerte und dann floss. Die Versuchung überkam sie, weiterzuschneiden, eine Schlagader
zu durchtrennen und zuzusehen, wie das Blut hervorspritzte. So musste es bei Grigorios gewesen sein, bis sein Leben verebbte.
    Zoe wandte sich erneut Giuliano zu. »Sie ist auf die Straße gegangen, wie alle Frauen, denen nichts anderes geblieben war«, sagte sie, »insbesondere schöne Frauen, und schön war sie.«
    Anna drehte die Klinge vorsichtig, zog den Splitter heraus und legte ihn in eine leere Schüssel.
    »So schön wie unser Anastasios«, fuhr Zoe fort, die nicht einmal zusammengezuckt war, »wenn er eine Frau wäre und kein Eunuch.«
    Anna spürte, wie Röte ihr Gesicht überzog. Sie begriff, wie tief Giuliano verletzt war – als hätte man ihm bei lebendigem Leib ein Organ herausgeschnitten. Sie konnte unmöglich bleiben und dieser unwürdigen Szene länger beiwohnen.
    Sie sah auf und begegnete Zoes Blick, der so hart war wie Achat.
    »Habe ich Euch gekränkt, Anastasios?«, fragte sie. Ihrer Stimme war anzuhören, dass ihr das herzlich gleichgültig war. »Schön zu sein ist keine Sünde, müsst Ihr wissen. « Sie wandte sich Giuliano zu und nahm dann ein Blatt vom Tisch. »Hier habe ich einen Brief von der Äbtissin des Klosters der heiligen Theresia. Es schmerzt mich, Euch das sagen zu müssen, aber Ihr wolltet es ja unbedingt wissen. Magdalena hat sich das Leben genommen. Das tun viele Frauen, die ihren Lebensunterhalt auf diese Weise verdienen. «
    Alles Blut wich aus Giulianos Gesicht.
    Aus dem leidenschaftlichen Bedürfnis heraus, ihn zu schützen, sagte Anna impulsiv, wobei sie Zoe ansah: »Ich
bin sicher, dass manche die Hurerei besser verstehen als andere, aber selbst die schönsten von ihnen welken eines Tages dahin. Die Lippen werden spröde, Brüste und Schenkel erschlaffen, die Haut wird faltig und unansehnlich. Die Begierde schwindet, und dann zählt nur noch Liebe.« Sie sagte das, obwohl ihr bewusst war, dass nichts Giulianos Wunde heilen und nichts ihn dazu bringen konnte zu glauben, dass sie seinen Schmerz nicht gesehen oder gehört hatte.
    Verblüfft fuhr er zu ihr herum und trat sogar einen Schritt auf sie zu, als wolle er sie vor Zoes Wut schützen.
    Zoes Augen weiteten sich. »Seht nur, Signor Dandolo, der kleine Eunuch hat Zähne. Ich glaube, er hat Euch gern. Wie absurd.«
    Das Blut schoss Giuliano in die Wangen, und er wandte sich ab. »Ich danke Euch für die Mühe, die es Euch gekostet hat, das für mich in Erfahrung zu bringen«, sagte er mit erstickter Stimme. »Ich gehe jetzt, damit Ihr weiter … behandelt werden könnt.« Er verließ den Raum, und nach einer Weile verhallten seine Schritte auf dem Marmorboden des Ganges.
    »Ihr lasst mich verbluten«, hielt Zoe Anna mit einem Blick auf ihren Fuß vor, von dem rote Tropfen auf den Boden fielen. »Ehrlich gesagt, hatte ich Eure ärztliche Kunst höher eingeschätzt, Anastasios.«
    Anna sah die hämische Befriedigung auf Zoes Gesicht. Sie hatte sich an Giuliano für etwas gerächt, was sein Urgroßvater getan hatte, und an Anna dafür, dass sie einen Dandolo liebte. Und sie liebte ihn in der Tat; es war sinnlos, sich das nicht einzugestehen.
    »Es ist gut, wenn es blutet«, sagte sie mit betont fester Stimme. »Damit wird das Gift ausgeschwemmt, das vielleicht noch in der Wunde war.«

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