Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
hätte sie nicht in tollkühner Weise ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um den Venezianer zu retten. Zweifellos liebte sie Giuliano.
Sie war Ioustinianos’ Schwester! Ja, das passte zu der Ähnlichkeit, die Zoe schon früher in ihr zu sehen geglaubt hatte. Eine Schwester, die alles daransetzte, seine Unschuld zu beweisen.
Je mehr sie über Anastasia in Erfahrung bringen konnte, desto besser.
Außerdem würde sie versuchen, mehr über Giuliano Dandolos Mutter, ihr Leben und Sterben herauszubekommen, damit sie das Messer des Schmerzes in seinem Herzen herumdrehen konnte. Dazu taugte alles, was sich nicht widerlegen ließ.
KAPİTEL 53
Eine Woche später übergab Simonis Anna bei ihrer Rückkehr eine Mitteilung und sagte mit gekräuselten Lippen: »Von Zoe Chrysaphes.«
»Danke.« Anna stellte ihre Tasche ab und entfaltete das Blatt.
Anastasios,
unglücklicherweise habe ich eine kleine Wunde am Bein, die versorgt werden müsste. Bitte kommt gleich.
Zoe Chrysaphes
»Wann ist das gekommen?«
»Vor weniger als einer Stunde, vielleicht einer halben.« Simonis hob die Brauen. »Wollt Ihr etwa hingehen?«
»Ja«, gab Anna zurück. Simonis wusste sehr wohl, dass das ärztliche Ethos das verlangte und es Annas Ruf schaden würde, wenn sie der Aufforderung nicht folgte, einen Patienten aufzusuchen.
Zu ihrer maßlosen Überraschung sah sie in Zoes Haus Giuliano, der lässig an der Wand neben dem großen Fenster lehnte, von dem aus der Blick auf den Bosporus fiel. Bei Annas Eintreten stieß er sich von der Wand ab und straffte unbehaglich die Schultern, und sie sah, dass er errötete. In seiner höflichen Begrüßung lag nicht der geringste Hinweis auf ihr Gespräch in der Nacht von Grigorios’ Ermordung.
»Ah, Anastasios!«, sagte Zoe erkennbar erfreut. »Danke, dass Ihr gekommen seid. Ich habe einen großen Splitter im Bein und fürchte, dass er mich vergiften wird, wenn man ihn nicht entfernt und die Wunde versorgt.« Sie hob den Saum ihrer goldfarbenen Tunika, und eine hässliche Wunde wurde sichtbar, aus der ein Holzsplitter hervorstand, den eine Kruste aus getrocknetem Blut umgab.
»Wann ist das geschehen?« Anna stellte ihre Tasche ab und beugte sich über das Bein.
»Gestern Abend, als ich nach Einbruch der Dunkelheit über den Hof ging. Anfangs habe ich nicht angenommen, dass es etwas Ernsthaftes sein könnte, aber heute Morgen gesehen, dass der Splitter noch in der Wunde steckt.«
»Ich gehe wohl besser …«, sagte Giuliano zögernd. »Ich kann gern ein anderes Mal wiederkommen.«
»Aber nein«, widersprach Zoe. »Es ist ja nur mein Fußknöchel. Leistet mir doch Gesellschaft. Das lenkt mich von dem ab, was Anastasios jetzt tun muss.«
Anna hob den Blick und sah Zoe lächeln. Dabei hallte in ihrem Kopf Zoes wildes, unbeherrschtes und nahezu irres Lachen in der Mordnacht nach, das sie seither verfolgt hatte.
Giuliano entspannte sich. »Danke.«
Zoe sah erneut zu Anna hin. »Sagt, was Ihr braucht, und ich lasse es bringen. Heißes Wasser, Verbandsmaterial?«
»Ja bitte, beides.« Anna versuchte, sich auf die Wunde zu konzentrieren. »Und Salz.«
»Ihr gehört doch nicht etwa zu denen, die Salz in Wunden streuen, oder doch, Anastasios?«, sagte Zoe leichthin.
»Eigentlich nicht. Aber ein- oder zweimal ist mir der Gedanke verlockend erschienen. Nein, mit dem Salz säubere ich mein Messer, und einen Teil vermenge ich mit Salbe für die erste Schicht des Verbandes. Es schmerzt weniger, wenn er nicht an der Wunde klebt, vor allem dann, wenn sie blutet.«
Thomais brachte außer mehreren Schüsseln mit Wasser Salz und eine größere Menge sauberer Leinenstreifen. Zoe entließ sie und legte ihr Bein auf einen Hocker, damit Anna die Wunde versorgen konnte. Dann wandte sie sich Giuliano zu, ohne weiter auf Anna zu achten.
»Ich habe sehr viel mehr über Magdalena Agallon in Erfahrung gebracht«, sagte sie mit einer Stimme, in die sie eine gewisse Anteilnahme legte, und zwar so leise, dass Giuliano näher trat und Anna ihn sehen konnte.
»Das meiste bezieht sich auf ihr Leben in der Zeit, nachdem sie ihren Mann und ihr Söhnchen verlassen hatte.«
Auf Zoes Gesicht trat ein Ausdruck von Schmerz, doch ließ sich unmöglich sagen, ob er auf Mitleid mit dem vor langer Zeit verlassenen Kind oder den Schnitt der Klinge zurückging, mit der Anna die entzündete Haut um den Holzsplitter löste.
» Warum hat sie das getan?«, fragte Giuliano. Es klang, als müsse er sich die Worte abringen.
Zoe zögerte. »Nehmt
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