Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
stand Zoes Tunika in Flammen. Sie spürte die sengende Hitze an ihren Beinen.
Die Schmerzen waren unerträglich, und der Rauch schien sie zu ersticken. Es kam ihr vor, als müsse ihre Lunge platzen. Die durchdringenden Schreie, die sie hörte, waren ihre eigenen. Sie fühlte sich weit in die Vergangenheit zurückgerissen, die Hintergrund all dessen war, was aus ihr geworden war. Das grelle rote Licht in der Dunkelheit umgab sie, der Lärm einstürzender Mauern, das Krachen fallender Steine, das Brüllen der Flammen drang an ihre Ohren, sie nahm das Entsetzen und Durcheinander ringsum wahr. Die Hitze verbrannte ihr Kehle und Brust.
Helena goss Wasser über sie und rief mit von Panik erfüllter lauter Stimme etwas, doch Zoe konnte nichts mehr denken. Sie war ein kleines Mädchen, das die Hand der Mutter umklammerte, im Laufen fiel, wieder hochgezogen und weitergezerrt wurde, über eingestürzte Mauerreste stolperte, über zerhackte und verbrannte Leiber, im Blut auf dem Pflaster ausglitt. Der durchdringende Geruch brennenden menschlichen Fleisches stieg ihr in die Nase.
Wieder stürzte sie zu Boden, alles schmerzte. Sie kam auf die Beine, aber die Mutter war fort. Dann sah sie sie. Einer der Kreuzfahrer hatte sie vom Boden emporgerissen und gegen eine Mauer geschleudert. Er zerfetzte ihr Obergewand und Tunika mit dem Schwert und drängte sich dann mit wilden, zuckenden Bewegungen an sie. Inzwischen wusste Zoe, was er getan hatte. Sie spürte es, als werde ihrem eigenen Leib Gewalt angetan. Schließlich hatte er ihr die Kehle durchgeschnitten und sie zu Boden sinken lassen, wo ihr Blut über die Steine floss.
Zu spät hatte Zoes Vater beide gefunden. Die Kleine hatte so reglos am Boden gesessen, als sei auch sie tot.
Alles danach war nur noch Schmerz und Verlust gewesen. Stets hatten sie an unvertrauten Orten gelebt, Qualen des Hungers und der schrecklichen Leere gelitten, Menschen, denen man alles genommen hatte. Ständig hatte es ein Entsetzen in ihrem Kopf gegeben, das sie nie losgeworden war. Nach diesem Entsetzen war der Hass gekommen. Sie blutete vor Wut, an welcher Stelle auch immer man sie stach.
Jetzt war Helena an ihrer Seite und wickelte etwas um sie. Zwar war der grelle Flammenschein verschwunden, doch die brennenden Schmerzen waren geblieben, in beiden Beinen, von unten bis oben. Zoe unterschied Wörter: Es war Helenas Stimme, angespannt und von Angst gefärbt.
» Alles wird gut! Alles wird gut! Thomais holt einen Arzt. Vor kurzem ist einer in unsere Nachbarschaft gezogen, der sich auf Verbrennungen versteht.«
Zoe wollte sie wegen ihrer ebenso unvernünftigen wie boshaften Handlungsweise verfluchen, an ihr so entsetzliche Rache üben, dass sie wünschen würde zu sterben, um ihr zu entgehen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie brachte kein Wort heraus. Die Schmerzen nahmen ihr den Atem.
Sie verlor jedes Zeitbewusstsein. Die Vergangenheit war wieder da, das Gesicht der Mutter, ihr blutender Leib, der Brandgeruch. Dann war endlich jemand anders da, sprach zu ihr, die Stimme einer Frau. Sie löste die Tücher, die Helena um die Wunden gewickelt hatte. Es schmerzte entsetzlich und fühlte sich an, als ob ihre Haut noch brannte. Um nicht laut herauszuschreien, biss sie sich auf die Lippen, bis sie Blut schmeckte. Zum Teufel mit Helena! Zum Teufel mit diesem törichten Geschöpf!
Die Frau berührte sie erneut, diesmal mit etwas Kaltem. Das Brennen ließ nach. Sie öffnete die Augen und sah das Gesicht der Frau vor sich. Dann erkannte sie, dass es gar keine Frau war, sondern ein Eunuch mit unbehaarter, weicher Haut und weiblichen, aber festen Gesichtszügen. Seine Bewegungen, die Sicherheit, mit der er handelte, waren die eines Mannes.
»Es schmerzt zwar, geht aber nicht sehr tief«, sagte er ruhig. »Bei richtiger Behandlung wird es verheilen. Ich gebe Euch eine Salbe, die das Brennen lindert.«
Jetzt beunruhigte Zoe nicht mehr der Schmerz, sondern die Furcht vor Narben. Entsetzen erfasste sie bei der Vorstellung, verunstaltet zu sein. Sie keuchte, aber ihr Mund bildete keine Worte. Ihr Rücken spannte sich, während sie etwas zu sagen versuchte.
»Tut etwas!«, schrie Helena den Arzt an. »Sie hat große Schmerzen.«
Ohne sich zu ihr umzuwenden, sah der Eunuch Zoe unverwandt in die Augen, als wolle er das Entsetzen darin deuten. Seine eigenen Augen waren von einem sonderbaren Grau. Er sah auf verweiblichte Weise gut aus, hatte einen kräftigen Körperbau und gleichmäßige Zähne. Schade,
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