Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
schon zu spät ist.«
Ein sonderbar befriedigtes Lächeln trat auf Helenas Züge, während sie sagte: »Nicht so spät, wie Ihr glaubt. Eigentlich wollte ich, dass Ihr annehmt, Ihr wüsstet alles – das aber ist nicht der Fall, nach wie vor nicht.«
Obwohl Zoe ihre Überraschung beinahe sogleich verbarg, erkannte Anna sie doch.
»Für den Fall, dass du von Bessarions Tod sprichst«, gab Zoe zurück, »muss ich dir sagen, dass mir alles bekannt war – sowohl die Versuche, ihn zu vergiften, als auch die Messerstecherei auf der Straße. Alles trug unübersehbar deine Handschrift, denn es schlug fehl. Unklugerweise bist du von falschen Voraussetzungen ausgegangen.« Sie setzte sich leicht auf und schob Anna beiseite, ganz und gar auf ihre Tochter konzentriert. »Was hast du Schwachkopf eigentlich geglaubt, wer an seine Stelle treten würde? Ioustinianos? Dimitrios? Gewiss – Dimitrios. Ich glaube, dafür habe ich Irene zu danken.« Es war eine Schlussfolgerung, keine Frage. Sie ließ sich wieder auf die Kissen zurücksinken, und erneut trat ein Ausdruck von Schmerz auf ihre Züge. Helena verließ den Raum.
Anna bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf die Haut ihrer Patientin zu richten, die allmählich zu heilen begann, aber ihre Gedanken rasten. Es hatte also weitere Anschläge
auf Bessarion gegeben. Wer steckte dahinter? Zoes Überzeugung nach offenbar dessen Gattin Helena. Warum? Wer war dieser Dimitrios? Und wer war Irene? Jetzt hatte sie greifbare Anhaltspunkte für ihre Suche.
Während sie Zoe die Verbände anlegte, zwang sie sich, ihre Finger ruhig zu halten, damit sie nicht zitterten.
Die ersten Erkundungen waren recht einfach. Rasch stellte sie fest, dass Irene eine in der ganzen Stadt bekannte kluge, wenn auch unansehnliche Frau war, die durch ihre Herkunft – sie war eine geborene Doukas – sowie durch die Eheschließung mit einem Vatatzes gleich zwei alten Kaiserfamilien angehörte. Jener von Zoe erwähnte Dimitrios war ihr Sohn. Gerüchtweise hörte man, es sei vor allem Irenes kaufmännischen Fähigkeiten zu verdanken, dass ihr Mann immer vermögender wurde. Er war noch nicht aus Alexandria zurückgekehrt, wo er während der Zeit der Vertreibung überwiegend gelebt hatte.
Mehr als diese Erkenntnisse gewann Anna bei ihrer Suche nicht, und sie wagte nicht, weiter nachzuforschen, denn das konnte gefährlich werden.
Im August, Zoes Verbrennungen waren inzwischen so gut wie abgeheilt, bekam Anna durch ihre Vermittlung weitere Patienten, unter ihnen wohlhabende Kaufleute, die mit Pelzen, Gewürzen, Silber, Edelsteinen oder Seide handelten. Ihnen machte es nicht das Geringste aus, für die besten Kräuter zwei oder gar drei Solidi zu bezahlen und noch mehr dafür, dass sich Anna um sie kümmerte, wann immer sie es für nötig hielten.
Anna und ihre Diener hatten seit ihrer Ankunft im März stets sehr bescheiden gelebt, und so gab sie, um diesen Erfolg zu feiern, Simonis den Auftrag, ein Lamm oder ein
Zicklein zu kaufen, obwohl der Verzehr von deren Fleisch lediglich für die erste Monatshälfte empfohlen wurde.
»Bring auch einen Flaschenkürbis mit. Du weißt ja, was für Gemüse man im August essen soll«, fügte sie hinzu. »Und Mirabellen.«
»Ich werde auch etwas Wein mitbringen.« Simonis wollte unbedingt das letzte Wort haben.
Anna suchte den Seidenhändler auf und kaufte von dem Stoff, den sie schon vor langer Zeit bewundert hatte. Sie ließ das kühle, glatte Gewebe durch die Finger gleiten, das fast wie eine Flüssigkeit war, und betrachtete es, während das Licht darauf fiel, wobei sie es langsam hin und her wendete. Zuerst schimmerte es tiefblau, wurde dann über Pfauenblau zu Grün. Rottöne verwandelten sich über Magenta zu Lila. Genau wie ein solcher Stoff, hieß es, seien die Eunuchen, sie ließen sich nie fassen, seien nie zweimal dieselben. Damit wollte man sie herabsetzen und als unzuverlässig abstempeln. Anna aber erkannte den Grund für deren Anderssein darin, dass sie überleben mussten. Sie begriff, dass sie Menschen wie alle anderen waren, mit Bedürfnissen, Ängsten und Träumen, und ebenso verletzlich wie jeder andere.
Sie kaufte so viel von dem Stoff, wie sie für eine Dalmatika brauchte, und nahm das Angebot des Ladeninhabers an, das Kleidungsstück zuschneiden, nähen und in ihr Haus liefern zu lassen. Sie dankte ihm und verließ das Geschäft. Noch draußen in der Hitze der Straße, die staubig war, weil es zu lange nicht geregnet hatte, lag ein Lächeln auf ihrem
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