Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
christliche Herrschaft stellen wollten.
Er machte sich auf dem Pferd, das er sich geliehen hatte, auf den Rückweg, wobei er stets den Kegel des Ätna im Blick behielt. Er wollte unbedingt Palermo erreichen, bevor die französische Streitmacht dort eintraf. Sofern sich die Sizilianer auflehnten, wollte er an der Seite jener sein, die seinem Herzen am nächsten standen, dem Fischer Giuseppe und dessen Freunden.
Auch wenn er bald kaum noch im Sattel sitzen konnte, dachte er in erster Linie an die sinnlose und dumpfe Gewalttätigkeit, mit der die Eindringlinge plündern und zerstören würden, was sie fanden – unter unermesslichen Verlusten an Menschenleben, aber auch an Bauten und Kunstwerken von atemberaubender Schönheit. Männer, die kaum den eigenen Namen schreiben konnten, würden unersetzliche Werte vernichten, die über Jahrhunderte hinweg geschaffen worden waren.
Am widerwärtigsten aber war wohl deren Behauptung, all das im Dienste Christi zu tun, ihr blinder Glaube, dass dafür Sünden vergeben würden.
Wie war es nur möglich, dass man Christi Friedensbotschaft auf diese Weise in ihr Gegenteil verkehrt hatte?
Im Licht des frühen Tages erreichte Giuliano ermüdet Palermo, gab das Pferd zurück und ging zu Fuß weiter. In den vertrauten Straßen der Stadt, über der die atemlose Atmosphäre des Wartens zu liegen schien, hörte man außer dem Plätschern der Brunnen und gelegentlichen eiligen Schritten so gut wie nichts.
Im Haus des Fischers war Giuseppes Frau Maria bereits auf und machte sich in der Küche zu schaffen. Als
sie ein Geräusch an der Tür hörte, fuhr sie herum, das Tranchiermesser in der Hand. Dann erkannte sie Giuliano, und ein Ausdruck der Erleichterung trat auf ihre Züge. Sie ließ das Messer sinken und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Wie schmutzig Ihr seid! Sobald Ihr gegessen habt, müsst Ihr Euch umziehen.« Sie machte sich sogleich daran, Brot, Öl, Käse und Wein auf den Tisch zu stellen. Es freute sie sichtlich, etwas für ihn tun zu können. Über ihre Schulter sah er, wie gering die Vorräte im Schrank waren.
»Wann kommen sie?«, fragte sie schließlich, als sie alles vor ihn hingestellt hatte.
»Willst du nicht mit mir essen?«, fragte er.
»Ich habe schon gegessen.«
Ihm war klar, dass das nicht stimmte. Sie aß nie, bevor alle am Tisch saßen. »Dann iss noch etwas mehr«, beharrte er. »Sonst fühle ich mich nicht richtig zu Hause und komme mir vor wie ein Fremder. Vielleicht ist es die letzte Mahlzeit, die wir gemeinsam zu uns nehmen können.« Er sagte das mit einem Lächeln und spürte zugleich, wie beim Gedanken an die bevorstehende Zerstörung die Tränen in ihm aufstiegen.
Gehorsam nahm sie etwas Brot und ein wenig Rotwein, den sie mit viel Wasser verdünnte. »Kommen sie noch heute? «, wollte sie wissen. »Und werden wir kämpfen?«
»Wahrscheinlich morgen. Ob es zum Kampf kommt? Das kann ich nicht sagen. Der Groll der Menschen hier ist groß, aber er bleibt unter der Oberfläche, und daher weiß ich nicht, wie ich ihn einschätzen soll.«
»Heute ist Ostersonntag«, sagte sie ruhig. »An Ostern feiern wir die Auferstehung unseres Herrn von den Toten. Darf man da kämpfen?«
»Um Menschen, die man liebt, zu retten, darf man an jedem Tag kämpfen.«
»Vielleicht haben sie gar nicht vor, uns anzugreifen«, sagte sie hoffnungsvoll.
»Möglich.« Aber er wusste genau, was sie vorhatten, denn er hatte sie gesehen.
Der Ostermontag war ein herrlicher Tag. Der Richter, Jean von Saint Rémy, beging das Fest im Palast der normannischen Ritter, als sei ihm und seinen Männern die knisternde Spannung im von ihnen unterdrückten Volk nicht bewusst. Allerdings waren sie auch nie bereit gewesen, sich näher mit den Bräuchen oder auch nur der Sprache des von ihnen beherrschten Landes näher zu beschäftigen.
Giuliano stand auf der Straße und sah, wie die Bewohner der Stadt alle Gassen und Plätze füllten. Musik erklang, und die Röcke und bunten Tücher der tanzenden Frauen waren wie Blumen im Wind. Zeigte sich in alldem die Freude über die Auferstehung des Herrn, der Glaube an das ewige Leben, oder wollten die Menschen damit nur die unerträgliche Anspannung vertreiben, während sie abwarteten, ob Berittene kommen und ihnen alles nehmen würden, was sie besaßen: Nahrungsmittel, Würde und Hoffnung?
Ein halbes Dutzend junger Männer kam vorüber, den Arm um die Hüften von Mädchen mit schwingenden Röcken gelegt. Sie lachten. Eine von ihnen streckte
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