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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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musste daran denken, wie unermüdlich Konstantinos für seine Kirche gearbeitet hatte, bis sein Gesicht grau vor Erschöpfung war und er sich kaum auf den Beinen halten konnte, damit er keinen der Armen, der Verängstigten oder der Kranken abweisen musste. Welch unabweisbares Bedürfnis hatte ihn so sehr geblendet, dass er schließlich alles falsch gesehen und seine Rechtschaffenheit aufgegeben hatte?
    »Gott verlässt die Menschen nicht«, sagte sie laut, »wohl aber verlassen wir Ihn.« Dabei zitterte ihre Stimme.
    Seine Augen suchten ihren Blick. »Ich habe der Kirche
mein Leben lang gedient …«, sagte er im Ton des Aufbegehrens.
    »Ich weiß«, stimmte sie zu. »Das ist aber nicht dasselbe. Ihr habt Euch einen Gott nach Eurem Bilde geschaffen, einen Gott der Gesetze und Riten, der Liturgie und der Gottesdienstordnung, weil das dafür nötige Handeln für alle sichtbar ist und sich leicht verstehen lässt. Dazu braucht man weder etwas zu empfinden noch mit dem Herzen dabei zu sein. Doch über alldem habt Ihr die Barmherzigkeit und das innere Feuer außer Acht gelassen, den Mut, der alles Vorstellbare übersteigt, die Hoffnung, die selbst in absoluter Dunkelheit leuchtet, die Sanftheit, das Lachen und die Liebe, die keinen Schatten kennt. Der Weg, der zu alldem führt, ist länger und steiler, als sich irgendjemand von uns vorstellen kann, aber da der Himmel so hoch ist, muss er es auch sein.«
    Er sagte nichts, seine Augen waren ausdruckslos, wie leere Gruben.
    Sie nahm ein nasses Handtuch, drückte es aus und wusch ihm das Gesicht. Auch wenn sie ihn verabscheute, sie hätte ihm in diesem Augenblick die Schmerzen genommen, sofern das in ihrer Macht gestanden hätte.
    »Eine Kirche kann den Menschen helfen«, fuhr sie fort, um die Stille zu überbrücken und damit er wusste, dass sie noch da war. »Menschen können immer helfen. Wir brauchen sie. Wenn wir uns nicht um sie kümmern, bleibt nichts. Aber den Weg zum Himmel finden wir nicht dadurch, dass jemand uns sagt, was wir tun sollen, oder uns ein Stück auf ihm weiterbringt. Wir finden ihn nur dann, wenn wir uns so sehr danach sehnen, dass uns niemand daran hindern kann, ihn zu gehen, wenn wir bereit sind, jeden Preis dafür zu zahlen.«

    »Habe ich nicht Seelen gerettet?«, fragte er.
    Wie konnte sie das bestreiten? Die Liebe vergab alles. In all ihrem Zorn und ihrer Qual durfte sie nicht vergessen, dass sie an seiner Seite ging und nicht über ihm stand. Auch sie war auf Gottes Gnade angewiesen, wenn auch wegen einer anderen Sünde als er.
    »Ihr habt dazu beigetragen, aber erlöst hat sie Christus, und sie haben selbst daran mitgewirkt, indem sie so rechtschaffen gelebt haben, wie sie konnten, und darauf vertrauten, dass Gott für sie das Übrige tat.«
    »Und Theodosia?«, fuhr er fort. »Ich habe ihr die Absolution erteilt. Sie brauchte sie. War das nicht richtig?«
    »Nein«, sagte sie leise. »Ihr habt ihr vergeben, ohne von ihr Bußfertigkeit zu verlangen, weil Ihr Euch bei ihr beliebt machen wolltet. Ihr habt sie belogen, und das hat ihren Glauben zerstört. Vielleicht war er ohnehin schon schwach, aber sie konnte keinem Gott vertrauen, der zuließ, was sie Ioanna angetan hatte. Wenn Ihr Euch selbst gegenüber ehrlich gewesen wäret, wäre Euch das auch klargeworden.«
    »Das stimmt nicht.« In seiner Stimme lag keine Überzeugung.
    »Doch. Ihr habt Eure eigene Wahrheit verdreht.«
    Während er sie ansah, drang ganz allmählich ein Teil dessen, was sie gesagt hatte, in sein Bewusstsein, und der Abgrund vertiefte sich.
    Sie erkannte das und empfand erst Mitleid und dann Gewissensbisse. Doch es war zu spät, um zurückzunehmen, was sie gesagt hatte. »Sie hat sich frei für diesen Weg entschieden. « Erneut betupfte sie sein Gesicht sehr vorsichtig mit dem feuchten Handtuch. »Das tun wir alle.« Sie sah ihm in die Augen. Was auch immer sie darin zu erkennen vermochte, sie hatte kein Recht mehr, den Blick abzuwenden.

    Sie nahm seine Hand. »Wir alle begehen Fehler. Ihr hattet Recht, auch ich habe noch nicht aufrichtig bereut, wessen ich mich schuldig gemacht habe, doch das muss ich unbedingt tun. Aber wir sind auf der Erde, um zu helfen, nicht, um zu richten. Das kann nur Gott uns lehren. Nicht einmal die besten Menschen sind dazu imstande, wenn der Schmerz unerträglich wird. Wir müssen gütig sein, uns den anderen zuwenden. Es kommt nicht darauf an, was wir dabei gewinnen können.«
    Sein Gesicht war aschfahl, als sei er bereits tot. Er sagte so

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