Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
entschied, eine Herrscherin aus dem Hause Palaiologos? Das wäre in der Tat ein durchtriebener Schachzug!
Auf keinen Fall durfte Helena in ihren Augen erkennen, was sie dachte. Sie musste rasch etwas sagen, was nicht zu höflich klang, weil sie sonst wissen würde, dass sich dahinter eine unausgesprochene Wahrheit versteckte.
»Ich habe gerade an Eure Mutter gedacht«, sagte Anna mit dem Anflug eines Lächelns. »Und daran, wie ich gesehen habe, dass Giuliano Dandolo die Grabplatte seines Urgroßvaters säuberte. Diese eine Rache ist ihr nicht gelungen. «
Helenas Gesicht verhärtete sich. »Reine Zeitverschwendung«, sagte sie kalt. »Sie war eine alte Frau, die in der Vergangenheit lebte. Ich lebe für die Zukunft, und im Unterschied zu ihr habe ich eine Zukunft. Aber was ist mit Euch? Für Euch ist hier bald kein Platz mehr. Ich weiß nicht, welche Verblendung Euch überhaupt hergeführt hat.«
Normalerweise hätte sich Anna davon tief getroffen gefühlt, doch ihre Gedanken überschlugen sich, weil sie fieberhaft überlegte, was Esaias und Helena zusammengeführt
haben mochte. Sie erinnerte sich an seine Rolle bei der Verschwörung: Er hatte den jungen Andronikos mit der Absicht umgarnt, ihn ebenfalls zu töten.
Sofern Helena ein Bündnis mit Charles von Anjou plante, wie auch immer das aussehen mochte, war dann Esaias der Bote, der die Nachrichten zwischen den beiden überbrachte? Helena wäre nie so töricht, etwas, was ihr schaden konnte, schriftlich zu formulieren, und auf keinen Fall würde sie selbst solche Reisen unternehmen. Ganz davon abgesehen, hätte sie keinem der Männer vertraut, die mit Zoe in Verbindung gestanden hatten.
Helena wartete auf eine Antwort.
»Das ist jetzt ohnehin vorbei«, sagte Anna mit ruhiger Stimme.
Helena hob den Kopf ein wenig höher und schritt davon. Esaias folgte ihr.
Anna trat mit langsamen Schritten in eine der kleinen Seitenkapellen und senkte dort den Kopf. Ihre Gedanken waren fast wie ein Gebet.
Sie hob den Blick zu dem von einer Myriade winziger Goldsplitter umgebenen düsteren Gesicht der Muttergottes über ihr. Wenn sie Kaiser Michael etwas sagen konnte, was er nicht wusste, etwas, wovon er überzeugt war, dass es noch wichtig war, ließe sich vielleicht doch noch erreichen, dass er Ioustinianos begnadigte. Bei den Mönchen des Klosters auf dem Sinai mochte ein Brief des Kaisers nach wie vor Gesetzeskraft haben.
Welche Art von Beweis würde er haben wollen, damit er ihr glaubte? War er in diesen finsteren Zeiten möglicherweise eher zu einem letzten Gnadenakt bereit? Eventuell konnte es ihr doch gelingen.
Sie schloss die Augen. Heilige Maria, Muttergottes, vergib
mir, dass ich voreilig aufgegeben habe. Vielleicht kannst du die Stadt nicht retten, dafür hätten wir selbst sorgen müssen. Aber hilf mir, Ioustinianos zu befreien … bitte.
Sie hob den Blick zu dem schönen Gesicht mit den kräftigen Zügen. »Ich weiß nicht, ob wir deine Hilfe verdienen, aber wir brauchen sie.« Dann wandte sie sich um und eilte rasch und lautlos Helena nach, damit sie Esaias nach dem Ende der Messe folgen konnte. Sie musste so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen.
Während sie mit Leo und Simonis ein frühes Abendessen einnahm, berichtete sie den beiden, was sie vermutete, weil sie auf ihre Hilfe angewiesen war.
»Was soll ich tun?«, fragte Leo verwirrt.
»Ich muss wissen, ob Esaias Reisen unternommen hat«, gab sie zurück. »Ich kann nicht sagen, wohin, aber ich habe eine gewisse Vorstellung. Wenn sich ermitteln ließe, welche Schiffe er benutzt hat …«
»Ich werde herausbekommen, wann er fort war«, unterbrach Simonis sie.
Beide wandten sich ihr überrascht zu.
»Diener wissen solche Dinge«, sagte sie. »Das fällt doch auf, wenn jemand eine Reise unternimmt: Proviant und Kleidungsstücke werden zusammengepackt, vielleicht wird sogar ein Teil des Hauses geschlossen. Bei der Rückkehr hat er möglicherweise wertvolle Gegenstände für sich selbst, seinen Haushalt oder neue Kleidungsstücke mitgebracht. Seine Diener wissen bestimmt, wo er war. Einer von ihnen wird ihn ohnehin begleitet haben. Und auf jeden Fall wissen sie, wie lange er fort war.«
Leo sah Anna an. »Und was tun wir, wenn wir das wissen? «, fragte er finster. Seine Augen waren betrübt.
»Wir sagen es dem Kaiser«, gab sie zurück.
»Und er lässt Helena hinrichten«, sagte Simonis tief befriedigt.
»Eher lässt er sie insgeheim umbringen«, sagte Leo, bevor er sich Anna
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