Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
deren
Bedeutung nur der versteht, der davon weiß. Der Vermittler all dessen war Esaias Glabas. Er gehörte zum Kreis der durch meinen Bruder Ioustinianos verhinderten Verschwörung zur Ermordung des Kaisers und ist als Einziger noch am Leben, wenn man von Dimitrios Vatatzes absieht, für den Helena anscheinend keine weitere Verwendung hatte.«
»Und seid Ihr gekommen, das dem Kaiser zu berichten?«
Ihre Hände verkrampften sich, ihre Muskeln schmerzten, ihr Atem ging schwer. »Ich hätte gern eine Gegenleistung dafür, denn Helena wird mich dem Kaiser verraten, und er wird mir nicht verzeihen, dass ich ihn hintergangen habe.«
Nikephoros biss sich auf die Lippe. Auf seinen Zügen lag Betrübnis. »Das stimmt. Was wollt Ihr, Anna? Die Freiheit für Euren Bruder?«
»Ja. Ein Begnadigungsschreiben des Kaisers würde das immer noch bewirken. Bitte.«
Nikephoros lächelte. »Das müsste möglich sein, aber Ihr dürft ihm in Bezug auf nichts die Unwahrheit sagen. Für dergleichen ist es jetzt zu spät. Ihr müsst ihm gestehen, dass Ihr eine Frau seid und ihn in der Absicht getäuscht habt, hinter die Wahrheit zu kommen und Ioustinianos’ Schuldlosigkeit zu beweisen.«
Sie merkte, wie alles in ihr kalt wurde. Es kam ihr vor, als bekomme sie nicht genug Luft. »Das kann ich nicht. Damit würde klar, dass ich auch Euch getäuscht habe, und das würde er Euch nie vergeben, denn Ihr hättet ihn davon in Kenntnis setzen müssen, woraufhin er mich hätte einkerkern lassen.«
»Ihr habt Recht – das hätte ich tun müssen«, stimmte er zu. »Aber ich glaube nicht, dass er uns jetzt hinrichten lässt.
Es geht dem Ende zu, und ich diene ihm seit meiner Kindheit. Wir sind Freunde, soweit das überhaupt möglich ist. Ich nehme nicht an, dass er es sich leisten kann, sich in den letzten wenigen Monaten vor dem Untergang seines Reiches von einem Freund abzuwenden.«
»Dann … dann ist es wohl am besten, wenn wir es gleich tun«, sagte sie mit gebrochener Stimme.
Er sah sie eine Weile aufmerksam an und griff, als sie den Blick nicht abwandte, nach einer kleinen mit Goldemail verzierten Glocke.
Nahezu sogleich erschien einer der Waräger. Nikephoros gab ihm unter Todesandrohung den Auftrag, unverzüglich Helena Komnena vor den Kaiser zu bringen. Der Mann erbleichte und eilte davon, den Befehl auszuführen.
Mit den Worten »Wir haben viel zu besprechen, bevor Helena kommt«, führte Nikephoros Anna durch die vertrauten Gänge mit den beschädigten Standbildern. Sie merkte, dass sie am ganzen Leibe zitterte. Den Tränen nahe, überlegte sie, dass all das bald erneut zerstört würde und Männer dort herumtrampeln würden, die keinen Sinn für die Schönheit hatten und sich nicht im Geringsten vorzustellen vermochten, welche Erhabenheit des Geistes und des Herzens einst an diesem Ort geherrscht hatte.
Nur allzu bald erreichten sie den Audienzsaal des Kaisers. Nikephoros trat vor ihr ein, kam dann zurück und geleitete sie vor den Herrscher.
Sie verbeugte sich tief und vermied es, ihn anzusehen, bis er es ihr gebot. Sie erstarrte bis ins Mark, als sie den Blick hob und einen Greis vor sich sah. Dabei war Michael Palaiologos noch keine sechzig Jahre alt. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck eines Menschen, dessen Tage gezählt sind.
»Was gibt es, Anastasios?«, fragte er und musterte sie bedächtig. »Es scheint, Ihr seid gekommen, mir etwas zu sagen, was ich noch nicht weiß?«
»Ich bin nicht sicher, Majestät.« Sie zitterte am ganzen Leibe, und ihre Worte kamen ebenso unsicher, wie ihr Atem ging.
Nikephoros sprang ihr bei. »Majestät, Anastasios hat von einem Verrat erfahren, von dem wir nicht wissen, ob Ihr ihn zulassen oder verhindern wollt. Ohnehin ist nicht sicher, ob etwas daraus würde.«
»Um was für einen Verrat geht es, Anastasios? Glaubt Ihr, dass das jetzt noch von Bedeutung sein könnte?«
»Ja, Majestät.« Ihre Stimme zitterte, sie fror. »Helena Komnena hat Botschaften mit Charles von Anjou ausgetauscht. «
»Ach? Und was hat sie ihm mitgeteilt? Auf welche Weise er am besten in unsere Stadt einfällt? Wie er ihre Mauern zerstören kann, damit die Kreuzfahrer des Papstes noch einmal im Namen Christi mit Feuer und Schwert über uns herfallen können?«
»Nein, Majestät. Es geht um den neuen Kaiser, den er einsetzen will, wenn er die Stadt eingenommen und Euch sowie all jene getötet hat, die dem Reich und der Kirche treu ergeben sind. Ihm will er eine Gemahlin beigeben, deren Zugehörigkeit zu zwei
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