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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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Gesicht.
    Dann strebte sie südwärts der Mese entgegen und sah sich dort in den Läden um. Sie erwarb für Leo und Simonis eine neue Leinentunika und einen neuen Umhang. Auch dort bat sie darum, ihr die Ware ins Haus zu liefern.

    Sonntags hatte sie, außer wenn ein Patient sie dringend brauchte, regelmäßig den Gottesdienst in der nahe gelegenen Kirche ihres Stadtteils besucht. Jetzt aber war ihr danach, die weit entfernte Kathedrale Hagia Sophia aufzusuchen, die am äußersten Ende der Mese stand.
    Es war ein ruhiger Abend, und sogar über dem Wasser war die Luft angenehm warm. Während die Sonne allmählich sank, liefen Farbreflexe über das Wasser, so dass es aussah wie ein changierendes Seidentuch. Kein Wunder, dass diese vor allem bei Sonnenaufgang sichtbaren Lichteffekte dem Goldenen Horn seinen Namen gegeben hatten.
    Das Fährboot legte in der Abenddämmerung an der Landspitze nahe dem Ende der Mese an, und während sie die steilen Straßen vom Hafen emporstieg, wurden allenthalben Lampen und Fackeln entzündet. Mit einem aus innerer Erregung und Furcht gemischten Gefühl ging sie auf die Hagia Sophia zu, die sich als schwarzer Umriss vor dem blasser werdenden Himmel abzeichnete. Schon vor tausend Jahren hatte man sie an dieser Stelle zwischen der Oberstadt des griechischen Byzanz und der Pferderennbahn errichtet, die größte Kirche der Christenheit. Im Jahre 532 war sie vollständig zerstört worden, und die große Kuppel war 558 in Folge eines Erdbebens eingestürzt. Bereits fünf Jahre später hatte man sie durch die gegenwärtige ersetzt, die jetzt riesig und dunkel vor dem Himmel aufragte.
    Natürlich hatte Anna das eindrucksvolle Bauwerk, das in jeder Richtung etwa zweihundertfünfzig Fuß maß, schon früher von außen gesehen. Sein rötlicher Stuck schimmerte beim Sonnenauf – und – untergang so intensiv, dass Seefahrer, die sich der Stadt näherten, es von weitem sehen konnten.

    Als sie durch die bronzene Pforte eintrat, blieb sie sogleich verblüfft stehen. Das riesige Innere wurde vom Licht zahlloser Kerzen erhellt, so dass es ihr vorkam, als befände sie sich im Inneren eines Edelsteins. Beim Anblick der herrlichen tiefroten Porphyrsäulen fiel ihr ein, was ihr Vater gesagt hatte, nämlich dass sie nicht nur uralt, sondern auch von unschätzbarem Wert seien und aus dem ägyptischen Tempel von Heliopolis stammten. Die Wände, an denen goldene Ikonen aus den Tempeln des antiken Ephesus hingen, waren mit Marmor aus Griechenland oder Italien verkleidet. Die weißen Flächen, die scharf von den grünen abstachen, bestanden aus Elfenbein und Perlen. Der Eindruck übertraf alles, was man Anna darüber berichtet hatte.
    Überall war Licht. Es kam ihr vor, als schwebte der obere Teil der Kuppel frei in der Luft und bedürfte keiner Stütze. Die Mosaiken in den Bögen waren von atemberaubender Schönheit, dunkle Blau-, Grau – und Brauntöne, dazu ein Hintergrund aus zahllosen winzigen goldenen Quadraten: Abbildungen von Heiligen und Engeln, Maria mit dem Jesusknaben, Propheten, aber auch Märtyrer aus früheren Jahrhunderten. Sie wandte den Blick erst ab, als die Abendmesse begann und zahllose Stimmen in harmonischem Einklang ertönten.
    Unter dem Eindruck der heiligen Messfeier und getrieben von ihrem Bedürfnis, dazuzugehören, ging sie inmitten vieler anderer mit gesenktem Haupt auf die Stufen zu, die zu den Emporen führten. Das Ritual war ihr vertraut – es gehörte zu dem Glauben, der sie ihr ganzes Leben lang begleitet hatte. Schon als kleines Mädchen hatte sie die Mutter in die Frauenabteilung ihrer Kirche in Nikaia begleitet, während Ioustinianos mit dem Vater das den Männern vorbehaltene Hauptschiff aufsuchte.

    Von oben sah sie hinab ins Herz der Kirche, wo die Priester den Segen sprachen und das Sakrament zelebrierten, in dem Christus seinen Leib und sein Blut immer wieder erneut zur Erlösung der Menschen hingab.
    Die Predigt hatte den unerschütterlichen Glauben Gideons zum Gegenstand, der das Volk Israel im Kampf gegen die Übermacht der Midianiter angeführt hatte. Immer wieder war ihm von Gott befohlen worden, seine ohnehin schon klägliche Streitmacht zu verkleinern, bis es geradezu aberwitzig schien, den Kampf überhaupt zu wagen. Das aber, betonte der Priester, habe Gott getan, um den Kindern Israels klarzumachen, dass Er es war, der ihnen den Sieg ermöglicht hatte. Sie sollten als Sieger nicht nur demütig und dankbar sein, sondern auch wissen, auf wen sie sich in alle

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