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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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nahezu alle Wege zu Fuß zurücklegen, sogar zum Palast des Kaisers.«
    Palombara sah sich langsam um und ließ den Blick auf den Säulen mit den schweren Kapitellen ruhen. »Man würde uns für Barbaren mit viel Geld und wenig Geschmack halten.«
    Vicenzes langes, knochiges Gesicht, das zunehmende Ungeduld ausdrückte, zeigte ihm, dass dieser nicht begriff, worauf er hinauswollte. Die Beschäftigung mit den schönen Künsten war in seinen Augen ein Zeichen von Schwäche, lenkte den Menschen davon ab, für Gott zu wirken. »Es kommt nicht darauf an, ob sie uns mögen oder nicht, sondern ausschließlich darauf, ob sie uns für glaubwürdig halten.«
    Palombara dachte nicht daran, klein beizugeben. Es war offensichtlich, dass Vicenze nicht über die geringste Vorstellungskraft verfügte und seine Ziele gleich einem Raubtier verfolgte, das einer Geruchsfährte nachjagte. Wenn man es recht bedachte, lag in der Art, wie er die Luft einsog, etwas Hündisches. Vicenze war letztlich auf nichts anderes aus als auf persönliche Macht.
    »Das Haus ist ästhetisch unbefriedigend«, beharrte Palombara mit fester Stimme. »Das andere weiter im Norden hat ebenmäßige Proportionen und bietet uns genug Raum. Außerdem kann man aus dessen Fenstern das Goldene Horn sehen.«
    »Wozu?«, fragte Vicenze.
    » Wir sind hier, um zu lernen, nicht, um anderen Lehren zu erteilen«, sagte Palombara in einem Ton, als müsse er einem Begriffsstutzigen etwas erklären. »Es ist unser Bestreben zu erreichen, dass sich die Menschen wohlfühlen, wenn
wir mit ihnen sprechen, und sich dabei aus der Reserve locken lassen. Wir müssen sie kennenlernen.«
    »Lerne deine Feinde kennen«, sagte Vicenze mit dem Anflug eines Lächelns, als sage ihm diese Erklärung zu. Nach langem Hin und Her ließ er sich überreden, ein etwas bescheideneres Haus zu mieten.
    »Es sind unsere Brüder in Christo, die sich vorübergehend vom rechten Weg entfernt haben«, gab Palombara trocken zurück. Ihm war klar, dass Vicenze den darin liegenden leisen Spott nicht zu teilen vermochte.
    Palombara ging daran, die Stadt zu erkunden, und fand sie fesselnd, ungeachtet des Winterwetters, der vom Wasser herüberwehenden scharfen Winde und gelegentlicher Regenfälle. Es war nicht besonders kalt, und er ging gern zu Fuß. Auf den Straßen dieser Stadt, in der sich Angehörige so vieler Völker und Glaubensrichtungen fanden, fiel auch ein römischer Bischof nicht weiter auf. Nachdem er einen ganzen Tag lang umhergezogen war und sich aufmerksam umgesehen und umgehört hatte, war er am Rande seiner Kräfte, besaß aber eine ungefähre Vorstellung von der Stadt.
    Am nächsten Tag waren seine Glieder steif, worüber sich Vicenze hämisch freute. Am übernächsten Tag aber machte er sich trotz der Blasen an seinen Füßen daran, die nähere Umgebung zu erkunden. Das Wetter war angenehm, die Sonne schien, und nur ein ganz leichter Wind wehte. Die engen Gassen waren voller Menschen. Er kam sich fast wie in Rom vor.
    Er kaufte seinen Mittagsimbiss bei einem Straßenhändler und sah, während er aß, zwei weißbärtigen Männern beim Schachspiel zu. Der eine war so gut wie kahl, und die schwarzen Augen des anderen verschwanden beinahe vollständig
in den Falten seines schmalen Gesichts. Das Schachbrett mit den abgegriffenen geschnitzten Figuren stand auf einem Tisch, der dafür kaum groß genug war.
    Die beiden waren so sehr in ihre Partie versunken, dass sie die Welt um sich herum nicht wahrnahmen. Es war, als hätten sie sie vollständig vergessen – Kinder, die auf der Straße schrien, Passanten, die vorübereilten, Eselskarren, die über das Pflaster rumpelten. Auch die an sie gerichtete Frage eines Straßenhändlers, ob sie ihm etwas abkaufen wollten, schienen sie nicht zu hören.
    Auf ihren Gesichtern erkannte Palombara die tiefe Befriedigung, die ihnen das Spiel bereitete. Er wartete eine volle Stunde, bis sie es beendet hatten. Der Hagere gewann und bestellte für sich und seinen Mitspieler den besten Wein des Hauses sowie frisches Brot, Ziegenkäse und Dörrobst. Dann machten sie sich mit der gleichen Hingabe, die sie beim Schachspiel gezeigt hatten, daran, diese Köstlichkeiten zu verzehren.
    Am Tag darauf kam er noch früher und sah dem Spiel von Anfang an zu. Diesmal gewann der andere die Partie, doch danach wurde auf die gleiche Weise gefeiert wie am Vortag.
    Plötzlich ging ihm auf, wie anmaßend es war, Männern wie ihnen vorschreiben zu wollen, was sie glauben sollten. Er erhob

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