Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Mann im Raum, etwa gleich groß wie sie, der eine schlichte Tunika und eine dunkelblaue Dalmatika trug. Er war damit beschäftigt, verschiedene Pulver in kleine Gefäße zu füllen. Palombara sog den von ihnen ausgehenden kräftigen Geruch ein: Es schien sich um zerstampfte Kräuter zu handeln.
Da Zoe nicht weiter auf den Mann achtete, folgte Palombara ihrem Beispiel.
Mit den Worten: »Ich habe hier ein kleines Geschenk, von dem ich hoffe, dass es Euch zusagt«, hielt er ihr die in rote Seide verpackte Gabe auf der ausgestreckten Handfläche hin.
In ihre goldenen Augen trat Neugier, doch schien sie unbeeindruckt. »Warum?«, fragte sie.
» Weil ich von niemandem mehr über die Seele von Byzanz erfahren kann als von Euch«, gab er aufrichtig zurück. »Es ist mir lieber, ich besitze dieses Wissen, als mein Gefährte Vicenze.« Er gestattete sich ein Lächeln.
Ein Lächeln ging über ihr Gesicht, dann öffnete sie die Verpackung und nahm das Stück Bernstein von der Größe eines kleinen Vogeleis heraus. Es enthielt eine Spinne, die ihr Schicksal in dem Augenblick ereilt hatte, als sie eine Fliege erbeuten wollte, die kaum mehr als eine Haaresbreite von ihr entfernt war. Ohne ihre Begeisterung zu verbergen, wandte Zoe sich zu dem Mann mit den Kräutern um. »Anastasios, kommt und seht Euch an, was mir der Legat des Papstes mitgebracht hat.«
Jetzt merkte Palombara, dass es sich bei diesem Anastasios ebenfalls um einen Eunuchen handelte. Zwar war er kleiner und jünger als Bischof Konstantinos, hatte aber das gleiche glatte, bartlose Gesicht. Als er sprach, zeigte sich, dass auch er nie einen Stimmbruch gehabt hatte.
» Wirklich großartig«, sagte Anastasios und sah sich die Perle aufmerksam an, »und zugleich beklemmend.«
»Findet Ihr?«, fragte Zoe.
Er lächelte. »Ein erstklassiges Gleichnis für den Augenblick und die Ewigkeit«, gab er zur Antwort. »Man glaubt den Siegespreis in Händen zu halten, und dann entgleitet er einem auf immer. Dieser Augenblick wird festgehalten, und so steht man nach tausend Jahren immer noch mit leeren Händen zum Zugreifen bereit da.« Er sah zu Palombara hinüber, den die Klugheit und der Mut beeindruckten, die er in den distanziert blickenden grauen Augen des Eunuchen erkannte. Auch er hatte hohe Wangenknochen und einen sinnlichen Mund. In gewisser Weise beunruhigte es Palombara, dass dieser Eunuch in dem Bernstein weit mehr gesehen hatte als er selbst.
Zoe sah aufmerksam zu. »Ist das Eure Botschaft an mich, Bischof?«, fragte sie. Da er Würdenträger der römischen und nicht der orthodoxen Kirche war, hielt sie es
nicht für angebracht, ihn auf die sonst übliche Weise anzureden.
»Es war mein Wunsch, Euch damit eine Freude zu machen und Euer Interesse zu wecken«, sagte er. »Sicherlich wird es Euch sagen, was immer Ihr darin seht.«
»Da hier gerade mittelbar von Sterblichkeit die Rede war«, fuhr Zoe fort, »kann ich Euch Anastasios für den Fall empfehlen, dass Ihr während Eures Aufenthaltes in unserer Stadt erkranken solltet. Er ist ein glänzender Arzt und wird Eure Krankheit heilen, ohne über Eure Sünden zu sprechen. Ein wenig jüdisch, aber ausgesprochen wirkungsvoll. Ich bin mir meiner Sünden bewusst und finde es daher ermüdend, wenn mich ein anderer Mensch auf sie aufmerksam macht. Geht es Euch nicht ebenso? Noch dazu dann, wenn man sich ohnehin nicht wohlfühlt.«
»Das kommt darauf an, ob man wegen dieser Sünden beneidet oder verachtet wird«, sagte Palombara in leichtem Ton.
Er meinte den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht des Eunuchen zu erkennen, doch war es so rasch wieder verschwunden, dass er nicht sicher war, ob er richtig gesehen hatte.
Auch Zoe schien es bemerkt zu haben, denn sie forderte Anastasios auf zu sagen, was er dachte.
Zur Antwort zuckte er auf eine sonderbar weiblich anmutende Weise die Achseln, doch ohne die Heftigkeit, die Palombara bei Bischof Konstantinos gesehen hatte. »Ich halte Verachtung für den Mantel, mit dem sich Neid umgibt«, sagte er mit einem Lächeln.
»Und was sollten wir Eurer Ansicht nach der Sünde gegenüber empfinden?«, fragte Palombara rasch, bevor Zoe etwas sagen konnte. »Wut?«
Anastasios sah ihn unverwandt an, was Palombara auf eine eigenartige Weise beunruhigte. »Nur wenn man Angst vor ihr hat«, sagte er. »Glaubt Ihr, Gott hat Angst vor der Sünde?«
Seine Antwort kam umgehend. »Der bloße Gedanke wäre lächerlich. Aber der Mensch ist nicht Gott. Zumindest wir in Rom halten uns
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