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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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Geruch von Wein und Salzwasser, Speisen, Leder und dem Rauch des erkalteten Feuers in einer Schenke, von der aus der Blick auf den sich lang hinziehenden Canal Grande fiel.
    »Auf das Abenteuer …« Pietro hob sein Glas mit einem recht guten Rotwein, zu dem ihn Giuliano eingeladen hatte, um Abschied zu nehmen.
    Sie stießen an und tranken.
    »Auf Venedig und alles, was venezianisch ist«, sagte Giuliano mit Nachdruck. »Möge sich der Glanz der Stadt nie verdunkeln.« Er leerte sein Glas. »Wie spät ist es?«
    »Keine Ahnung. Warum?«
    »Ich muss mich noch von Lucrezia verabschieden«, gab Giuliano zurück. »Immerhin werde ich sie ziemlich lange nicht sehen.«
    » Wird sie dir fehlen?«, fragte Pietro neugierig.
    »Nicht sehr.« Pietro hatte ihn seit einer ganzen Weile immer
wieder gefragt, warum er sie nicht heiratete, doch beim bloßen Gedanken daran fühlte sich Giuliano wie in einer Falle. Lucrezia war warmherzig und großzügig, jedenfalls geizte sie nicht mit ihren Reizen – neigte aber zu übermäßigen Gefühlsaufwallungen. So gern er mit ihr zusammen war, bei der Vorstellung, sich auf immer mit ihr zu verbinden, kam es ihm vor, als würde damit hinter ihm eine Tür ins Schloss fallen, hinter der er dann gefangen säße.
    Er stellte das leere Glas auf den Tisch und stand auf. Vorfreude auf das Zusammensein mit Lucrezia erfüllte ihn. Bestimmt würde ihr das Halsgeschmeide aus Goldfiligran gefallen, das er für sie gekauft hatte. Auch wenn sie ihm fehlen würde, die Sanftheit ihrer Berührung, ihr leises Lachen – es würde ihm nicht schwerfallen, sie am nächsten Morgen zu verlassen.
    Trotz aller Schönheit und aller unerwarteten Eindrücke fühlte sich Giuliano von Neapel, einer griechischen Gründung, deren Name Neapolis ›neue Stadt‹ bedeutete, eingeschüchtert und verunsichert. Ihre Vitalität erregte ihn, es kam ihm vor, als würden die Menschen dort die Freuden wie auch die Tragödien des Lebens mit rückhaltloser Intensität genießen, mehr als andere.
    Viele der engen Straßen, die nach wie vor dem einst von den Griechen entworfenen Schachbrettmuster folgten, waren über tausend Jahre alt, und alle miteinander waren sie steil und von hohen Häusern überschattet. Giuliano lauschte auf das Gelächter und die Zänkereien, das Feilschen um die Preise von Oliven, Obst und Fischen, das Plätschern von Brunnen und das Rumpeln von Karren. Er nahm die Gerüche wahr, die aus Küchen und verstopften Abwassergräben drangen, den Duft leuchtender Ranken
und Blüten wie auch den der Ausscheidungen von Menschen und Tieren. Er sah zu, wie Frauen am Brunnen Wäsche wuschen und dabei miteinander tratschten, lachten oder ihren Kindern tadelnde Worte zuriefen. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand das Leben, nicht aber ein König, sei er italienischer oder französischer Abstammung.
    Auch wenn er die Effekte kannte, die entstanden, wenn Licht auf Wasser fiel, beeindruckte ihn das leuchtende Blau der sich bis zum Horizont erstreckenden Bucht von Neapel, war es doch von einem Glanz, der ihn blendete und zugleich anzog.
    Keinen Augenblick lang konnte er die bedrohliche Gegenwart des im Süden hinter der Stadt aufragenden Vesuvs aus seinem Bewusstsein verdrängen. Von Zeit zu Zeit stieß der Berg eine Rauchwolke aus, die träge zum sich friedlich wölbenden Himmel emporstieg. Giuliano konnte sich gut vorstellen, wie die Menschen angesichts dieser ständigen Bedrohung nach Leben hungerten, sich besinnungslos allerlei Genüssen hingaben, konnte es dafür doch schon am nächsten Tag zu spät sein.
    In tiefem Nachdenken erreichte er schließlich den Palast und wurde vor den Grafen von Anjou geführt, der dort als König herrschte. Er kannte dessen beachtliche militärischen Erfolge, vor allem im noch nicht lange zurückliegenden Krieg gegen Genua, wie auch dessen Siege im Osten, denen er es zu verdanken hatte, dass er jetzt außer König beider Sizilien auch Herrscher von Albanien war.
    Gemessen an Lateinern – ganz zu schweigen von den Venezianern, die außer ihrer angeborenen Schönheitsliebe viel vom Feingefühl und der Bildung der Byzantiner besaßen – hielt Giuliano alle Franken samt und sonders für grobschlächtig und unkultiviert. Daher hatte er sich
Charles von Anjou als harten Krieger vorgestellt, als einen Mann, der von den Triumphen, die ihm seine Rücksichtslosigkeit und seine Gewalttaten eingetragen hatten, leicht trunken war. Zu seiner Überraschung aber sah er sich einem recht einfach gekleideten,

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