Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Aufmerksamkeit auf sich – ein großartiges Bauwerk, das mit seinem Feuer Seeleuten nachts schon aus großer Entfernung den Weg wies.
Im Hafen wimmelte es von Schiffen aller Art und Größe. Fährboote bahnten sich ihren Weg zwischen Fischerbooten, gewaltigen Dreiruderern und Kauffahrern, die vom Atlantik bis ins Schwarze Meer Handel trieben. An jener schmalen Meerenge, an der Europa und Asien einander begegneten, verlief einer der Haupthandelswege der Welt.
Doch er durfte sich nicht zu sehr seinen Gedanken hingeben, musste sich vielmehr darum kümmern, dass sein
Schiff einen Ankerplatz fand und die Fracht gelöscht wurde, bevor er seinem Stellvertreter das Kommando übergab. Sie hatten vereinbart, dass das Schiff Anfang Juli zurückkehren würde, um ihn abzuholen.
Am nächsten Tag ging er mit seinem Gepäck an Land. Das ihm vom Dogen zur Verfügung gestellt Geld war für die vorgesehene Dauer seines Aufenthaltes reichlich bemessen.
Es war ein sonderbares Gefühl, auf dem Pflaster von Konstantinopel zu stehen. Als seiner Herkunft nach halber Byzantiner hätte er es als Heimkehr empfinden müssen, doch er empfand nichts als Ablehnung. Er kam als Spion.
Er sah sich im Hafen um. Möglicherweise kannte er auf diesem oder jenem Schiff jemanden, war unter Umständen schon mit einem der Männer gesegelt, hatte die gleichen Stürme abgewettert, die gleichen Entbehrungen gelitten und die gleiche Erregung empfunden wie er. Das Licht, das auf dem Wasser tanzte, war von der gleichen sonderbaren Kraft wie in Venedig, und auch der Himmel und die Weichheit der Luft waren ihm vertraut.
Drei Nächte verbrachte er in Herbergen und zog tagsüber durch die Stadt, in dem Versuch, sie kennenzulernen, die üblichen Gebräuche, ihre Lage, die Speisen, die man aß, die Scherze, die man machte, den Geschmack ihrer Luft.
Er setzte sich in eine Gaststätte und bestellte ein Mahl aus Ziegenfleisch mit Knoblauch und Gemüse. Es war köstlich. Doch der Wein, den man ihm dazu reichte, erschien ihm nicht annähernd so gut wie der in Venedig. Er beobachtete die Menschen auf der Straße, hörte Gesprächsfetzen, die er zum großen Teil nicht verstand. Aufmerksam musterte er die Gesichter und achtete sorgfältig auf die
Stimmen. Es beunruhigte ihn, dass er häufig außer dem Griechischen, das er beherrschte, Genuesisch sprechen hörte. Er verstand einzelne Brocken von dem, was die an ihrer Kleidung leicht zu erkennenden Araber und Perser sagten. Fremdartig erschienen ihm die Albaner, Bulgaren und Mongolen mit ihren hohen Wangenknochen, und mit Unbehagen musste er daran denken, wie weit im Osten er sich befand und wie nahe an den Gebieten des Großkhans oder der Mohammedaner, von denen der Rotbärtige in Messina gesprochen hatte.
Als er schließlich gleich am Ufer des Goldenen Horns auf eine venezianische Familie stieß, ging ihm flüchtig die Frage durch den Kopf, wo seine Mutter gelebt haben mochte. Sie war im Exil zur Welt gekommen, vielleicht in Nikaia – oder weiter im Norden? Dann ärgerte er sich darüber, dass er den Schmerz an sich herangelassen hatte, der jeden Gedanken an sie begleitete. Aber er konnte nicht anders.
Er schloss die Augen, um das grelle Sonnenlicht und die Geschäftigkeit auf der Straße nicht zu sehen, doch nichts entfernte das Bild des grauhaarigen Vaters vor seinem inneren Auge, wie er mit seinem von Sorge gezeichneten Gesicht dastand, eine Haarlocke und das winzige Porträt einer jungen Frau mit dunklen Augen und lachendem Gesicht in der Hand.
Wie konnte sie lachen und sie verlassen? Nie hatte Giuliano aus dem Mund des Vaters ein böses Wort über sie gehört. Noch als er starb, hatte er sie geliebt.
Er erhob sich und trat auf die Straße hinaus. Noch mehr Wein zu trinken würde ihm nicht guttun. Hier war er in einer fremden Stadt voller Menschen, denen zu trauen er nie töricht genug sein würde. Man musste seinen Feind
kennen, von ihm lernen, ihn verstehen, ohne sich je von seiner Kunstfertigkeit oder Schönheit verlocken zu lassen. Er war gekommen, um festzustellen, auf wessen Seite die Menschen stehen würden, wenn es darauf ankam.
Wenige Straßen entfernt lag das Viertel, in dem die Venezianer lebten. Sie bemühten sich, nicht aufzufallen, denn niemand in der Stadt hatte vergessen, auf wessen Flotte die Eindringlinge gekommen waren, um die Stadt niederzubrennen und die heiligen Reliquien zu stehlen.
Er stieß auf eine Familie, die den stolzen alten Namen Mocenigo trug, und fühlte sich sogleich zu deren
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