Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
schlichteren Brüder im Glauben verstehen, worum es geht, oder nicht.« Er machte ein flüchtiges Kreuzzeichen und wandte sich so rasch ab, dass seine mit Edelsteinen besetzten Gewänder flatterten und sich das Licht darin brach, als stehe er in Flammen.
Während Anna den Hügel hinab ihrem Haus zustrebte, wobei ihr der Wind ins Gesicht wehte, dachte sie noch einmal über die schwärmerischen Äußerungen und alles andere nach, was sie von Nikephoros und dem neu ernannten Patriarchen gehört hatte.
Ioannis Beccus schien mit einer Rücksichtslosigkeit vorzugehen, die sie nicht erwartet hatte, doch ihr war klar, dass er andernfalls dem Kaiser nicht von Nutzen wäre. Vielleicht hatte sie sich bei ihrem Urteil zu sehr auf ihr Gefühl verlassen? Wahrscheinlich müsste Bischof Konstantinos mit der gleichen Verschlagenheit vorgehen wie sein Gegenspieler, um die Partie zu gewinnen, ebenfalls bereit sein, jedes Mittel zu nutzen, das sich ihm bot.
Inzwischen hielt sie es für durchaus wahrscheinlich, dass man sich Bessarions durch Mord und Ioustinianos’ durch den Vorwurf der Täterschaft entledigt hatte. Antonios hatte dabei unter Umständen nur eine Nebenrolle gespielt und war möglicherweise gar nicht von vornherein als Opfer ausersehen gewesen. Ein Schauder überlief sie.
Sobald sie ein wenig mehr in Erfahrung gebracht hatte, musste sie unbedingt eine Möglichkeit finden, Nikephoros Fragen über das Gerichtsverfahren gegen Ioustinianos und Antonios zu stellen. Sicher wusste er als einer der engsten Berater des Kaisers alles in diesem Zusammenhang. Einen offiziellen Ankläger hatte es nicht gegeben. Der Kaiser galt als Verkörperung des Rechts, gegen dessen Wort es keinen Einspruch gab, weder beim Urteil noch bei der Zumessung der Strafe. Er hatte sich dazu entschieden, einen der Beteiligten hinrichten zu lassen und den anderen in die Verbannung zu schicken.
Diese harte Strafe hatte wohl nicht nur die Aufgabe gehabt, Ioustinianos und Antonios von der Bildfläche verschwinden zu lassen; sicherlich sollte sie auch andere abschrecken, die sich gegen den Zusammenschluss mit Rom stellen mochten, so dass nur noch Bischof Konstantinos und die führerlose Volksmasse dagegen aufbegehrten.
Wer war der wahre Mörder? Ein Verräter oder gar jemand, der die beiden dazu verlockt hatte, für ihre Ansichten offen einzutreten, weil er damit dem Kaiser einen Dienst erweisen wollte? Verständlich wäre das. Er wurde von allen Seiten bedrängt, war von Ehrgeizlingen, Heuchlern und religiösen Fanatikern umgeben und trug ganz allein die Verantwortung dafür, dass sein Volk nicht nur auf Erden überlebte, sondern nach Möglichkeit auch in den Himmel gelangte.
KAPİTEL 22
Anna hörte und sah sich weiterhin gut um, aber es lief immer wieder auf dasselbe hinaus: Wenn sie die Zusammenhänge verstehen wollte, musste sie unbedingt mehr über die Menschen erfahren, die Bessarion in den letzten Jahren umgeben hatten. Vielleicht, überlegte sie, könnten ihr die Frauen seiner Bekanntschaft mehr über ihn sagen. Selbstverständlich verschwieg sie, worum es ihr wirklich ging, als sie Zoe aufsuchte, um ihr neue Heilkräuter zu empfehlen, und sie dabei wie beiläufig bat, ihr bei der Erweiterung ihrer Praxis behilflich zu sein.
Eine Woche darauf ließ Zoe sie rufen. Diesmal wurde sie in einen anderen Raum als sonst geführt. Er war neutral eingerichtet und wirkte weniger privat. Nichts darin schien einen Hinweis auf Zoes Wesen zu enthalten, so, als empfange sie dort Menschen, die sie auf Distanz halten wollte.
Auch Helena war anwesend. Ihr Haar schimmerte wie schwarze Seide, und ganz offensichtlich trug sie keine Trauer mehr, denn sie hatte ein mit Edelsteinen besetztes weinrotes Gewand angelegt. Sie musterte Anna mit frostigem Blick.
Außer Zoe und ihr war noch eine weitere Frau im Raum, älter und von herrischem Wesen. Äußerlich unterschied sie sich in jeder Hinsicht von Zoe, denn sie war ziemlich klein und unansehnlich, um nicht zu sagen hässlich, und das nicht nur wegen ihrer übermäßig breiten Nase. Ihre aufwendig bestickte blaugrüne Dalmatika vermochte ihre Flachbrüstigkeit ebenso wenig zu verbergen wie ihre breiten und knochigen Schultern, die fast wie die eines Mannes waren. Ihre hellen Augen verrieten ein hohes Maß an Klugheit, und ihr Mund war fein geschnitten, aber ohne jeden Anflug von Sinnlichkeit.
Das Lächeln, mit dem diese Frau, die Zoe als Irene Vatatzes vorstellte, Anna begrüßte, ließ sie einen flüchtigen
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