Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Augenblick lang hübsch erscheinen.
Irene war mit einem hochgewachsenen Mann von etwa dreißig Jahren gekommen, der mit seinem passablen Aussehen einen scharfen Kontrast zu ihr bildete, und so hörte Anna überrascht, dass es sich um ihren Sohn Dimitrios handelte. Nach dem höflichen Austausch von Belanglosigkeiten kam Zoe auf ihre Brandverletzung zu sprechen und berichtete, wie Anna sie geheilt habe. Sie hob ihre Tunika leicht an und ließ Irene einen Blick auf ihre Beine werfen, damit diese sich selbst überzeugen konnte – nicht die Spur einer Narbe war zu sehen. Während sie das tat, warf sie Helena einen belustigten Blick zu, den Anna unschwer zu deuten vermochte.
Danach wurde die Unterhaltung ermüdend. Helena tänzelte mit übertrieben anmutigen Bewegungen durch den Raum, als wolle sie vor den beiden älteren Frauen ihre Jugendlichkeit herausstreichen. Auch wenn sie Dimitrios dabei nicht ein einziges Mal ansah, war klar, dass ihm diese Demonstration galt. An Anna ging sie vorüber, als sei sie Luft. Mit einem Mal empfand Anna die zurückhaltenden Blautöne der eigenen Tunika und die Notwendigkeit, sich wie ein Eunuch zu bewegen, noch bedrückender als sonst. Es kam ihr vor, als stehe sie unsichtbar am Rande des Raumes, während sich die anderen über ihren Kopf hinweg miteinander verständigten, sei es mit Worten oder wortlos. Ob es wohl allen Eunuchen so ging? Und empfand eine Frau, die so unansehnlich war wie Irene Vatatzes, etwas Ähnliches?
Nach einer Weile merkte sie, dass Zoe zu ihr herübersah, und sie begriff, dass Zoe verstand, was in ihr vorging. Auch das war ihr unbehaglich.
Bald darauf wandte sich das Gespräch, wie das in Byzanz früher oder später immer geschah, der Religion zu. Helena war nicht besonders gläubig, das war ihrem Verhalten wie auch ihren Worten deutlich zu entnehmen. Diese Frau war schön, äußerlich anziehend, aber ohne Seele. Anna fragte sich, ob Männer das nicht auch merkten.
Sie hörte der Unterhaltung der anderen mit gesenktem Blick zu, um möglichst nicht bemerkt zu werden.
»So ärgerlich das ist«, sagte Zoe achselzuckend, »letzten Endes ist alles eine Frage des Geldes.« Dabei sah sie Irene an.
Helena ließ den Blick zwischen ihr und ihrer Mutter wandern. »Bessarion ging es ausschließlich um den Glauben und sonst nichts«, widersprach sie.
Ein Ausdruck der Ungehaltenheit trat auf Irenes Züge, doch sie beherrschte sich. »Wer einem Glauben Gestalt geben und ihn lebendig erhalten will, braucht eine Kirche, und zu ihrem Unterhalt ist nun einmal Geld nötig, meine Teure.« Trotz des freundlichen und nahezu liebevollen Tonfalls, in dem sie das sagte, lag in ihren Worten die erkennbare Herablassung eines geistig hochstehenden Menschen gegenüber einem geistlosen. »Und zur Verteidigung einer Stadt sind außer dem Glauben auch Waffen unerlässlich. «
Mit belustigtem Ausdruck in ihren Augen bemerkte Zoe: »Von Geld versteht Irene mehr als die meisten Männer. « In ihren Worten lag eine gewisse Hochachtung. »Mitunter habe ich mich gefragt, ob Theodoros Doukas das Schatzamt verwaltet oder du – natürlich indem du im Hintergrund die Fäden ziehst.«
Irene lächelte, wobei sich ein leicht rötlicher Schimmer auf ihre teigigen Wangen legte. Anna hatte den Eindruck,
dass Zoe mit ihren lobenden Worten mehr oder weniger die Wirklichkeit beschrieb und Irene sich durchaus darüber freute.
Helena schwieg.
Nach einer Weile merkte Anna, dass Zoe mit kaum spürbarem Lächeln zu ihr herübersah.
»Langweilen wir Euch mit unserem Gerede über Glaubensfragen und Politik?«, fragte sie. »Vielleicht sollten wir Dimitrios bitten, uns etwas über seine Waräger zu erzählen?«
Anna merkte, dass sie errötete. Sie hatte einen Augenblick nicht zugehört. »Ich war in Gedanken«, log sie. »Ich merke, dass ich noch viel über Politik zu lernen habe.«
»Wenn Ihr das begriffen habt, ist das schon eine ordentliche Leistung«, sagte Helena bissig.
Zoe gab sich keine Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken, doch als sie sich dann an Helena wandte, lag in ihrer Stimme ein eisiger Unterton. »Deine Zunge ist schärfer als dein Verstand, meine Liebe«, sagte sie. »Anastasios versteht es, seine Gedanken für sich zu behalten und sein Wissen hinter Bescheidenheit zu verbergen. Es würde dir gut anstehen, das ebenfalls zu lernen. Nicht immer ist es weise, den Eindruck von Klugheit zu erwecken.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Allerdings besteht in dieser Hinsicht bei dir
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