Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
keine Gefahr.«
Irene lächelte und wandte sogleich den Blick von Zoe ab. Im nächsten Moment merkte Anna, dass ihre hellen, wissenden Augen voll Neugier und Interesse auf ihr ruhten.
Helena sagte etwas und sah dabei Dimitrios an.
Möglicherweise hatte Antonios sie geliebt, weil nur er so etwas wie Güte in ihr hatte entdecken können. Anna wusste nicht, welche Gemeinsamkeit zwischen ihnen bestanden haben könnte. Inzwischen litt Helena möglicherweise allein
und wagte nicht, das anderen zu zeigen, schon gar nicht ihrer Mutter oder der anderen klugen Frau, der unansehnlichen, in deren Gesicht so tiefer Schmerz gegraben war.
Anna sah zu Helena hinüber, die lächelnd neben Dimitrios getreten war. Er wirkte befangen.
»Allmählich fängt er an, seinem Vater zu ähneln«, bemerkte Zoe und ließ den Blick kurz auf Dimitrios ruhen. Dann fragte sie Irene: »Habt Ihr in letzter Zeit von Grigorios gehört?«
»Ja«, gab Irene knapp zur Antwort.
Anna fiel auf, dass sie sich dabei verkrampfte.
Zoe schien erheitert. »Und ist er nach wie vor in Alexandria? Eigentlich sehe ich keinen Grund, warum er länger dort bleiben müsste. Oder meint er, dass uns die Lateiner erneut dezimieren werden? Ich hatte nie den Eindruck, dass ihm die Religion je besonders am Herzen gelegen hätte.«
»Ach?«, gab Irene mit gehobenen Brauen und eiskaltem Blick zurück. »Das liegt vielleicht daran, dass Ihr ihn nicht annähernd so gut kennt, wie Ihr glaubt.«
Zoes Wangen röteten sich. »Möglich«, lenkte sie ein. »Wir haben einige wunderbare Gespräche miteinander geführt, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es dabei je um Religion gegangen wäre.« Sie lächelte.
»Das dürfte auch kaum die richtige Situation für spirituelle Fragen gewesen sein.« Irene wandte sich erneut zu Dimitrios um. »Ja, er sieht seinem Vater ähnlich«, sagte sie. »Wie schade, dass Ihr keinen Sohn habt … von keinem Eurer … Liebhaber.«
Zoes Züge spannten sich an, als habe man sie geohrfeigt. »Ich halte es nicht für ratsam, dass Dimitrios zu sehr zu
Helena aufschaut«, sagte sie kaum hörbar. »Das könnte … unerfreulich werden.«
Alles Blut wich aus Irenes Gesicht, während sie Zoe anstarrte. Dann wandte sie sich mit einem kalten Blick an Anna: »Es war mir angenehm, Eure Bekanntschaft zu machen, Anastasios, aber ich denke nicht, dass ich Eure Dienste in Anspruch nehmen werde. Auf mein Gesicht trage ich keine Mittel auf, in dem verzweifelten Versuch, mich an die Jugend zu klammern, und zum Glück habe ich ein reines Gewissen und befinde mich bei bester Gesundheit. Sollte sich das je ändern, habe ich meinen eigenen Arzt, einen Christen. Ich habe gehört, dass Ihr Euch von Zeit zu Zeit jüdischer Arzneien bedient. Sicher werdet Ihr verstehen, dass ich damit nichts zu tun haben möchte, ganz besonders nicht in diesen unsicheren Zeiten voller Verrat.« Ohne eine Antwort Annas abzuwarten, nickte sie Zoe knapp zu und ging. Dimitrios folgte ihr.
Helena sah ihre Mutter mit einem Blick an, als wollte sie einen Streit vom Zaun brechen, beschloss dann aber, es zu unterlassen. »So also steht es um die Vergrößerung Eures Patientenkreises«, sagte sie zu Anna. »Ich weiß nicht, was Ihr Euch erhofft habt, aber Mutter scheint dafür gesorgt zu haben, dass nichts daraus wurde.« Sie lächelte strahlend. »Ihr werdet Euch anderweitig umsehen müssen.«
Anna verabschiedete sich und ging. Sie verkniff sich die passende Antwort, die ihr auf der Zunge brannte.
Den ganzen Abend lang überlegte sie, was diese Menschen, zwischen denen es so wenige Gemeinsamkeiten zu geben schien, aneinander binden mochte. Der Glaube konnte es unmöglich sein. Vielleicht war es der Hass auf Rom.
Am folgenden Morgen, es war ein Sonntag, ging sie allein zur Hagia Sophia, um an der Messe teilzunehmen. Sie wollte an einem Ort sein, wo weder Leo noch Simonis sie sehen oder sich nach ihrer Stimmung erkundigen konnten. Vielleicht, so hoffte sie, würden die Pracht der Kathedrale und die Macht der vertrauten Worte sie trösten, sie an die Gewissheiten erinnern, auf die es ankam.
Auf den oberen Stufen der Treppe, die fast im Schatten der Kuppel lagen, wäre sie beinahe mit Zoe zusammengestoßen. Es war unmöglich, einfach an ihr vorüberzugehen, ohne grob unhöflich zu erscheinen.
»Ach, Ihr seid es, Anastasios«, sagte Zoe. »Wie geht es? Ich bitte um Entschuldigung für Irenes eigenartiges Verhalten. Sie ist mitunter seltsamen Stimmungen unterworfen. Vielleicht wisst Ihr ein
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