Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
Vom Netzwerk:
Käse, Gemüse und mit Essig angemachten Lattich auf den Tisch brachte, wie es sich für den April gehörte. Für die Speisen eines jeden Monats gab es genaue Vorschriften, und Simonis war mit ihnen allen vertraut.
    Leo wandte sich ihr zu, als sie hereinkam, und legte das Türscharnier aus der Hand, das er gerade reparierte. Erst seit sie in das Haus eingezogen waren, hatte sie entdeckt, mit welchem Geschick er allerlei handwerkliche Tätigkeiten auszuüben verstand.
    »Es ist an der Zeit, dass ich Bischof Konstantinos aufsuche«, sagte sie ruhig. »Aber zuvor hätte ich gern noch eine Lektion … bitte.«
    Einem Eunuchen standen alle Türen offen, während sie als Ärztin ausschließlich weibliche Patienten hätte behandeln dürfen. Auf die Weise hätte sie aber nur äußerst wenig über das Leben ihres Bruders in der Hauptstadt herausbringen
können, über die unendlich vielen kleinen Dinge, von denen er in all seinen vielen Briefen nichts berichtet hatte.
    Zu ihrer Entscheidung, als Eunuch aufzutreten, hatte auch beigetragen, dass sie als Witwe nicht dazu gedrängt werden wollte, wieder zu heiraten. Das stand zwar nicht im Vordergrund, war ihr aber doch wichtig. Auch wenn es ihr bisweilen gelang, ohne Zorn oder Schmerz an ihren Mann Eustathios zurückzudenken, wäre es ihr unmöglich gewesen, sich erneut an einen Mann zu binden.
    » Vor allem darf man nicht merken, dass Ihr Euch bemüht, wie ein Mann zu wirken«, sagte Leo. »Es gibt zahlreiche Arten von Eunuchen, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt ihres Lebens man sie entmannt hat. Manche von uns, bei denen der Eingriff spät erfolgt ist, sind nahezu wie Männer, aber Ihr mit Eurem zierlichen Körperbau, der weichen Haut und der sanften Stimme müsst Euch unbedingt wie jemand verhalten, den man schon als Kind verschnitten hat. Wenn Ihr das nicht beachtet, lenkt Ihr die Aufmerksamkeit der Menschen auf Euch.«
    Sie sah ihm zu, wie er sich im Zimmer bewegte. Er war hochgewachsen und schlank, leicht vorgebeugt unter der Last der Jahre, aber überraschend kräftig. Mit seinen schmalen Händen konnte er Holz zerbrechen, das sie nicht einmal zu biegen vermochte. Er ging mit einer sonderbaren Anmut, die weder an einen Mann noch an eine Frau erinnerte. Diese Art zu gehen musste sie nachahmen.
    »Und dann Eure Hände. Ihr benutzt sie nicht genug, wenn Ihr redet. Seht her … So.« Er führte ihr Gesten vor, bei denen die Finger anmutig wirkten, doch sonderbarerweise nicht weiblich.
    Sie versuchte es ihm nachzutun.

    Simonis sah ihr mit besorgt in Falten gelegter Stirn zu. Hatte auch sie Angst? Bestimmt erkannte sie die Unterschiede zwischen Anna und Leo, sah alles, was sie falsch machte.
    »Ihr solltet essen«, sagte sie und wies auf den von ihr sorgfältig gedeckten Tisch.
    Nach der Mahlzeit kleidete sich Anna zum Ausgehen um. Es war kühl und nieselte, doch bis zum Haus des Bischofs gleich auf der anderen Seite der Konstantins-Mauer ganz in der Nähe der Apostelkirche war es nur eine knappe Meile, und so eilte sie rasch durch die Straßen.
    Ein älterer Diener ließ sie ein und teilte ihr mit, zwar sei der Bischof beschäftigt, doch freue ihn der Besuch, und er werde sie empfangen, sobald er frei sei. Das bartlose, glatte Gesicht des Mannes war ausdruckslos; er betrachtete sie ohne jedes Interesse.
    Sie wartete in einem großen Raum mit Mosaikfußboden und ockerfarbenen Wänden. Im Dämmerlicht, das dort herrschte, schienen zwei Ikonen an der Wand förmlich zu leuchten. Eine, die mit Edelsteinen besetzt war, zeigte die Jungfrau Maria in Blau – und Goldtönen, die andere einen Christus als Pantokrator in warmen Braun – und Ockertönen sowie gebrannter Umbra.
    Sie bemerkte eine leichte Bewegung und wandte sich von den Bildern ab. Dabei fiel ihr Blick durch einen Türbogen in einen helleren Raum, hinter dem ein Innenhof lag. Dort stand der hochgewachsene Bischof und hielt der vor ihm knienden Frau lächelnd eine Hand zum Kuss hin. Während sie mit ihren Lippen seine Finger berührte, verschwand der goldene Ring mit seinem großen Stein fast darunter. Einen Augenblick lang wirkte das Bild auch wie eine Ikone, ein für alle Ewigkeit festgehaltenes Sinnbild der Vergebung.

    Der Friede, der über dieser Szene lag, erfüllte Anna mit plötzlichem Schmerz. Es drängte sie, sich ebenfalls auf die Knie zu werfen und um Absolution zu bitten, zu spüren, wie die Last von ihr genommen wurde, ihr die Luft wieder frei in die Lunge drang. Aber das war unmöglich. Die Frau erhob sich,

Weitere Kostenlose Bücher