Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
geschlafen, nachts wachgelegen, zwischen Selbstzweifel und Hoffnung hin- und hergerissen. Er hatte sich sogar vor den Spiegel gestellt und sich ausgemalt, wie er in den Prunkgewändern aussehen würde, seine kräftige schmale Hand betrachtet und schon den Fischerring daran gesehen.
Jetzt wartete er wie alle anderen, konnte vor Anspannung nicht sitzen bleiben und vor Müdigkeit nicht mehr als wenige Schritte gehen. Er verlor jedes Zeitgefühl. Er hatte Hunger und vor allem Durst, brachte es aber nicht fertig, den Raum zu verlassen.
Dann war es endlich vorüber. Ein wohlbeleibter Kardinal in wallenden Gewändern, dem der Schweiß über das Gesicht lief, teilte den Versammelten mit, dass die Christenheit einen neuen geistlichen Führer habe.
Als das Ergebnis verkündet wurde, schlug Palombaras Herz so laut, dass es ihn fast betäubte. Der neue Papst war der portugiesische Philosoph, Theologe und Doktor der Medizin Petrus Juliani, einstiger Leibarzt Papst Gregors, der sich für den Namen Johannes XXI. entschied. Palombara
war wütend auf sich selbst, dass er nicht damit gerechnet hatte. Wie hatte er nur so töricht sein können? Er stand mit starrem Lächeln in dem herrlichen Saal, als läge auf seinem Herzen kein bleiernes Gewicht der Enttäuschung, das ihn zu zermalmen drohte, als schmerze es ihn nicht unerträglich. Er lächelte Männern zu, die er verabscheute, hinterhältigen Opportunisten, die er noch wenige Stunden zuvor umworben hatte. Hatte Gott tatsächlich jenen als Petrus Hispanus bekannten einundsiebzigjährigen Portugiesen für den Thron Sankt Petri ausersehen?
Ringsum ertönten Jubelrufe, zu laut, voll unaufrichtiger Freude, manche Stimmen, wie seine eigene, von Enttäuschung gefärbt und von Angst um die eigene Stellung. Allen war bekannt, wer sich offen für oder gegen wen ausgesprochen hatte, aber niemand wusste, was insgeheim versprochen, gegeben oder genommen worden war.
Schon nach wenigen Tagen ließ ihn wieder einmal ein neuer Papst zu sich kommen, und so ging Palombara erneut über den Platz und die flachen Stufen empor, durch die vertrauten Korridore den päpstlichen Gemächern entgegen.
Während er niederkniete, den Ring küsste und den Papst seiner Treue versicherte, jagten sich seine Gedanken. Warum mochte er nach ihm geschickt haben? Welche erbärmliche Aufgabe würde man ihm übertragen, um ihn aus Rom zu entfernen und an einen Ort zu schicken, wo er keinen Schaden anrichten und sein Ehrgeiz sich abkühlen konnte? Wahrscheinlich irgendwohin in den fernen Norden Europas, wo er den ganzen Sommer hindurch frieren würde und im Winter erst recht.
Als er aufsah, lächelte der Papst. »Mein Vorgänger, Gott sei seiner Seele gnädig, hat Eure Gaben damit verschwendet,
dass er Euch hier in Italien um Unterstützung für den Kreuzzug werben ließ«, sagte er kühl. »Und auch der gute Innozenz.«
Palombara wartete auf den unausweichlichen Hieb, der jeden Augenblick auf ihn herabfahren würde.
»Ich habe Eure Berichte gelesen und gesehen, dass Ihr über ein gewisses Geschick sowie Erfahrungen im Umgang mit der beklagenswerten Spaltung verfügt, die zwischen uns und der griechisch-orthodoxen Kirche besteht. Daher würdet Ihr Gott und der Christenheit am besten damit dienen, dass Ihr als Unser Legat an den byzantinischen Hof nach Konstantinopel zurückkehrt. Eure Aufgabe wäre es, darauf hinzuwirken, dass die Unterschiede und Unstimmigkeiten zwischen uns und unseren Brüdern dort vermindert werden.«
Palombara atmete langsam ein und lautlos wieder aus. Das Sonnenlicht im Raum war so grell, dass es seine Augen schmerzte.
»Dabei handelt es sich um eine Aufgabe von äußerster Wichtigkeit«, sagte Johannes, »und so müsst Ihr mit größter Sorgfalt auf dieses Ziel hinarbeiten und darum beten, dass sie Euch gelingt.« Er lächelte erneut. » Wir wollen von den Byzantinern nicht nur Lippenbekenntnisse für die Union mit Rom hören, sondern Taten sehen. Wir brauchen handfeste Beweise für den Gehorsam der Orthodoxen und die Möglichkeit, ihn der übrigen Welt zu zeigen. Die Zeiten, in denen wir uns Milde erlauben konnten, sind vorüber. Versteht Ihr das, Enrico?«
Aufmerksam musterte Palombara die Züge des neuen Papstes. War Johannes XXI. unter seinem nichtssagenden Äußeren möglicherweise weit raffinierter, als er vermutet hatte, und bereit, sich zur Durchsetzung seiner Ziele jedes
verfügbaren Werkzeugs zu bedienen? Wollte er mit diesem Auftrag lediglich erreichen, dass Palombara aus Rom
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