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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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Christenheit durch etwas anderes einigen lässt als eine Eroberung der alten orthodoxen Patriarchate.« Er hörte seine eigene Stimme wie die eines Fremden. »Ich bin vor kurzem aus Konstantinopel zurückgekehrt und weiß, dass der Widerstand gegen die Union mit Rom in der Stadt und vor allem in ihrer ländlichen Umgebung nach wie vor stark ist.«
    Die Tiara war greifbar nahe, näher vielleicht, als er selbst es je ernsthaft für möglich gehalten hatte. Doch welchen Preis würde er Charles von Anjou und allen, die in dessen Schuld standen, dafür zahlen müssen?
    Wenn er jetzt zögerte, würde ihn der König nie wieder unterstützen. Jemand, der für den Stuhl Petri zur Wahl stand, durfte nicht zaudern und sich fragen, ob sein Mut ausreichte. Besaß er die Klarheit des Geistes, die es ihm ermöglichte, Gottes Stimme zu verstehen, wenn ihm dieser den Auftrag erteilte, die Welt zu führen, oder ihm sagte, was richtig und was falsch war? War er von solchem inneren Feuer beseelt, dass er die schwere Bürde des Amtes tragen konnte?
    Erneut dachte er an den sonderbaren weiblich wirkenden Eunuchen Anastasios und dessen inständige Bitte um die Demut, zu lernen und andere Ansichten als die eigenen zu ertragen.
    »Ihr zögert«, sagte Masari. In seinen Augen war bereits zu lesen, dass er im Begriff stand, das Angebot zurückzuziehen.

    Palombara ärgerte sich über seine Feigheit und sein Ausweichen. Noch vor einem Jahr hätte er das Angebot unverzüglich angenommen und sich erst danach Gedanken über den Preis und darüber gemacht, ob sein Handeln moralisch gerechtfertigt war.
    »Nein«, sagte er. »Mir fehlt der Mut, über ein Rom zu herrschen, das erneut einen Krieg mit Byzanz vom Zaun bricht. Wir würden dabei mehr verlieren, als wir gewinnen können.«
    »Sagt Gott Euch das?«, fragte Masari lächelnd.
    »Mein gesunder Menschenverstand«, gab ihm Palombara zur Antwort.
    Achselzuckend wandte sich Masari mit einem flüchtigen Gruß ab und ging davon.
    Die Entscheidung fiel bemerkenswert rasch. Vier Tage später, am 21. Januar, einem finsteren, windigen Tag, kam Palombaras Diener über den Hof gerannt, ohne darauf zu achten, dass er bei jedem zweiten Schritt in eine Pfütze trat. Nach flüchtigem Anklopfen trat er ein, das Gesicht von Anstrengung gerötet.
    »Das Konklave hat sich für Pierre de Tarantaise entschieden, den Kardinal von Ostia«, sagte er atemlos. »Er hat den Namen Innozenz V. angenommen, Monsignore.«
    Palombara war wie vor den Kopf geschlagen. Sogleich kam ihm der Gedanke, dass Charles von Anjou diesen Mann von Anfang an unterstützt hatte und es lächerlich gewesen war anzunehmen, Masari habe ihm, Palombara, mehr geboten als eine Möglichkeit zu zeigen, auf welcher Seite er stand. Er war nichts weiter als eine unbedeutende Spielfigur.
    »Danke, Filippo«, sagte Palombara, und der Diener zog sich zurück.

    Palombara setzte sich an seinen Schreibtisch. Er fror. Seine Gedanken überschlugen sich. Pierre de Tarantaise also, der Dominikaner. Palombara kannte ihn – er hatte ihn beim Konzil von Lyon predigen hören und war danach mit ihm ins Gespräch gekommen.
    War es Zufall, dass sich de Tarantaise für den Papstnamen Innozenz V. entschieden hatte, oder verbarg sich eine Absichtserklärung dahinter? Als Enrico Dandolo im Jahre 1204 zu dem Kreuzzug aufgebrochen war, bei dem man Konstantinopel geplündert und niedergebrannt hatte, war Innozenz III. Papst gewesen. Palombara musste sich unbedingt gründlich überlegen, welchen Weg er gehen wollte.
    Sein Herz schlug rascher, als er in der päpstlichen Residenz die vertrauten Räume mit den hohen Fenstern betrat, und er stellte sich vorbeugend auf die Möglichkeit eines Scheiterns ein, so, als wäre dann sein Schmerz geringer.
    Erst jetzt merkte er, wie sehr es ihn danach drängte, nach Konstantinopel zurückzukehren. Er sehnte sich nach der Vielfalt des Orients, wollte teilhaben an der Fortsetzung dessen, was er von Anfang an miterlebt hatte. Er wollte zumindest einige der orthodoxen Geistlichen überreden, sich zu unterwerfen, damit bewahrt werden konnte, was an ihrem Glauben gut war, und nicht alles in der römischen Umarmung verlorenging. Er wollte ihre abweichende Auffassung von Weisheit näher erkunden, denn sie beunruhigte ihn, war weniger lehrhaft und letzten Endes duldsamer.
    Als er schließlich vor den Heiligen Vater geleitet wurde, trat er mit der gebotenen Demut ein. Innozenz war ein nahezu kahlköpfiger Mann, nur wenig älter als er.
    Er kniete vor

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