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Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
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verschwunden, ersetzt durch einen überwältigenden Mentholgeruch, der ihm die Tränen in die Augen trieb. »Wick VapoRub«, erklärte Doc Wilson. »Alter Pathologentrick. Hilft in allen Lebenslagen.«
    »Was haben wir da vor uns?«
    Bitte, lass es Peter Lumley sein.
    »Schwer zu sagen. Das arme kleine Ding ist schon fast völlig verwest.«
    Der Arzt rückte schwerfällig zur Seite, und Logan bekam zum ersten Mal zu sehen, was Matthew Oswald veranlasst hatte, schreiend in den Schneeregen hinauszurennen und seine Frühstücksflocken auszuspucken. Aus dem Gewirr von Tierleichen ragte der Kopf eines Kindes hervor. Von Gesichtszügen war kaum noch etwas zu erkennen; nur eine schleimige graue Masse, durch die schon die Knochen hervorguckten.
    »O mein Gott.« Logans Magen revoltierte.
    »Ich weiß noch nicht mal, ob’s ein Junge oder ein Mädchen ist. Das werden wir erst sehen, wenn wir die Leiche da rausgeholt und gründlich untersucht haben.«
    Logan starrte den grässlich entstellten Kopf an, die leeren Augenhöhlen, den offenen Mund mit den Zähnen, die aus dem zurückgebildeten Zahnfleisch ragten. Der wirre, verfilzte Haarschopf war kaum vom Fell der Tiere zu unterscheiden, die sich um die Leiche herum stapelten. Halb eingesunken in der verwesten Kopfhaut waren zwei kleine pinkfarbene Spangen zu erkennen. Barbie-Haarklammern.
    »Es ist ein Mädchen.« Logan richtete sich auf. Er hielt das alles nicht länger aus. »Kommen Sie, Doc. Stellen Sie den Tod fest und überlassen Sie den Rest der Gerichtsmedizin.«
    Der Arzt nickte betrübt. »Ja. Vielleicht haben Sie Recht. Armes kleines Ding …«
    Logan stand draußen im Schneegestöber, hielt die Nase in den Wind und ließ die kalte, feuchte Luft den Gestank der Verwesung fortwehen. Die Übelkeit konnte er damit allerdings nicht vertreiben. Zitternd sah er zu, wie Doc Wilson durch den Schnee davonstapfte und in seinen Wagen stieg. Kaum hatte der Arzt die Tür hinter sich zugeschlagen, steckte er sich auch schon die erste Zigarette an, und sein Kopf verschwand in einer dichten Rauchwolke.
    »Du verdammter Glückspilz!«
    Logan wandte der Szene den Rücken zu und trottete durch den Schneesturm auf das Wohnhaus zu. Der Strahl seiner Taschenlampe, ein wirbelnder, funkelnder weißer Stab in der Dunkelheit, wies ihm den Weg durch das hohe Gras. Nach zehn Schritten waren seine Hosenbeine bis an die Knie durchnässt, seine Schuhe voller Schneematsch. Als er endlich die Haustür erreichte, bildete das laute Klappern seiner Zähne eine rhythmische Begleitung zu seinem Zittern.
    Ein flackernder Lichtschein drang aus dem Küchenfenster, doch durch die verdreckte Scheibe konnte Logan nur schemenhafte Umrisse erkennen. Er verlor keine Zeit mit Anklopfen, sondern drückte gleich die Klinke herunter und lehnte sich gegen die aufgequollene Tür. Drinnen war das Haus noch heruntergekommener, als er von außen vermutet hatte. Seit Gott weiß wie vielen Jahren unbewohnt, hatte es sich in ein Mausoleum aus Moder und Schimmel verwandelt. Logan ließ den Strahl der Taschenlampe durch die Diele wandern, über Tapetenfetzen und Möbelskelette. An manchen Stellen war der Putz von den Wänden gebröckelt und das Lattenwerk freigelegt. Schwarze Schimmelpilze umwucherten die Löcher wie Fliegen ein offenes Geschwür. Vom Treppengeländer fehlten mehrere Pfosten, und eine Stufe war in der Mitte durchgebrochen, sodass die beiden Enden schräg in die Luft ragten. Aber es hingen noch Fotos an den Wänden.
    Logan wischte ein Loch in die dicke Staubschicht, die eines der Bilder bedeckte, und eine glücklich lächelnde Frau blickte ihm entgegen. Er vergrößerte die saubere Fläche, worauf ein kleiner Junge zum Vorschein kam. Er trug schicke neue Kleider, seine Haare waren exakt gescheitelt, und er grinste fröhlich in die Kamera. Bernard Duncan Philips und seine Mutter in besseren Tagen. Bevor er angefangen hatte, tote Geschöpfe zu sammeln. Bevor Gebäude Nummer zwei zur Gruft für die Leiche eines kleinen Mädchens geworden war.
    Die Küche war eng und finster. Überall standen Stapel von Pappkartons herum, von der ständigen Feuchtigkeit durchweicht, sodass die Seiten sich bogen. Die Wände waren mit Schimmel bedeckt, die Luft erfüllt von einem modrigen Geruch, der die Atmosphäre der Trostlosigkeit noch verstärkte. Und mitten im Raum stand ein klappriger Küchentisch mit zwei nicht sehr vertrauenswürdig aussehenden Stühlen.
    Auf einem saß zusammengesunken Bernard Duncan Philips alias Roadkill;

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