Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
eine Sozialarbeiterin vorbeigekommen, um nach Bernard zu sehen. Der Geruch war ihr schon an der Haustür entgegengeschlagen.
Und so war Bernard Duncan Philips für die nächsten zwei Jahre in Cornhill untergebracht worden, Aberdeens einzigem Krankenhaus für Patienten mit »speziellen Bedürfnissen«. Er hatte gut auf die Medikamente angesprochen, weshalb man ihn in die Obhut der Gemeinde gegeben hatte. Das bedeutete grob übersetzt, dass sie das Bett für ein anderes armes Schwein brauchten. Bernard stürzte sich mit Feuereifer in seine Arbeit, die darin bestand, für die Aberdeener Stadtverwaltung tote Tiere von der Straße zu kratzen.
Das erklärte natürlich einiges.
Von Team 3 brauchte Logan keinen Lagebericht. Er hatte genug aus erster Hand mitbekommen, um zu wissen, dass ihre Fortschritte bislang eher bescheiden waren. Dass er sie gezwungen hatte, sich den Inhalt der Container auch noch vorzunehmen, hatte ihm wohl kaum Sympathiepunkte eingebracht, aber jetzt konnten sie immerhin sicher sein, dass sie nichts übersehen hatten. Bei dem Tempo, das sie vorlegten, würden sie frühestens am Montag mit dem Inhalt aller drei Tier-Mausoleen fertig sein. Vorausgesetzt, der Superintendent genehmigte die Überstunden.
Als Logan in seinem kleinen Soko-Büro ankam, fand er den Raum leer vor. Die Laborergebnisse zu dem Erbrochenen, das Isobel in der tiefen Schnittwunde im Körper des Mädchens gefunden hatte, waren inzwischen gekommen. Die DNS stimmte nicht mit der Probe überein, die sie Norman Chalmers abgenommen hatten. Und die Spurensicherung konnte auch sonst keine handfesten Ergebnisse vorweisen. Das Einzige, was Chalmers mit dem Mädchen in Verbindung brachte, war der Bon von der Supermarktkasse. Deshalb hatten sie ihn laufen lassen müssen. Immerhin war er so vernünftig gewesen, still und leise nach Hause zu gehen, und nicht etwa in Begleitung einer gewaltigen Pressemeute. Sein Anwalt musste am Boden zerstört sein.
Auf Logans Schreibtisch lag eine säuberlich getippte Notiz mit einer Zusammenfassung der Augenzeugenberichte vom Tage. Er las sie skeptisch durch. Die meisten schienen reine Fantasieprodukte zu sein.
Daneben fand er eine Liste sämtlicher Tb-Patientinnen unter vier Jahren im ganzen Land. Es war keine lange Liste, sie bestand nur aus fünf Namen, alle mit kompletter Adresse versehen.
Logan zog das Telefon heran und begann zu wählen.
Es war schon nach sechs, als DI Insch den Kopf zur Tür hereinstreckte und Logan fragte, ob er einen Moment Zeit habe. Der Inspector sah ihn dabei ganz merkwürdig an, und Logan ahnte schon, dass er keine guten Nachrichten hatte. Er legte eine Hand über die Sprechmuschel und bat Insch, sich noch einen Moment zu gedulden.
Am anderen Ende der Leitung war ein Constable von der Polizei in Birmingham, und bei ihm saß das letzte Mädchen auf Logans Liste. Ja, sie sei noch am Leben, und ob Logan eigentlich wisse, dass sie afrokaribischer Herkunft war? Also wahrscheinlich eher doch nicht das weiße Mädchen, das tot auf einer Bahre in der Rechtsmedizin lag.
»Danke für Ihre Mühe, Constable.« Mit einem müden Seufzer legte Logan den Hörer auf die Gabel und strich den letzten Namen durch. »Pech gehabt«, sagte er, während Insch es sich auf der Schreibtischkante bequem machte und geräuschvoll in Logans Akten zu wühlen begann. »Sämtliche Kinder in der passenden Altersgruppe, die wegen Tb in Behandlung waren, sind quicklebendig.«
»Sie wissen, was das bedeutet«, meinte Insch. Er hielt die Protokolle der Zeugen in der Hand, die Logan aussortiert hatte, weil sie am nächsten bei Norman Chalmers und seiner Mülltonne wohnten. »Wenn sie Tb hatte und behandelt wurde, dann jedenfalls nicht in diesem Land. Sie ist …«
»… keine britische Staatsangehörige«, beendete Logan den Satz und vergrub das Gesicht in den Händen. Es gab hunderte von Orten auf der Welt, wo Menschen immer noch regelmäßig an Tuberkulose erkrankten: der größte Teil der ehemaligen Sowjetunion, Litauen, der komplette afrikanische Kontinent, der Ferne Osten, Amerika … In vielen der schlimmsten Gegenden gab es noch nicht einmal ein Zentralregister. Der Heuhaufen war gerade um ein Vielfaches angewachsen.
»Wollen Sie zur Abwechslung mal eine gute Nachricht hören?«, fragte Insch, doch seine ausdruckslose Stimme klang alles andere als fröhlich.
»Schießen Sie los.«
»Wir haben das Mädchen, das auf Roadkills Hof gefunden wurde, identifiziert.«
»So schnell?«
Insch nickte und legte
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