Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Gott, Steve«, rief Simon Rennie und starrte das Loch in der Hand seines Kameraden an. »Das muss ja ein Monstrum von einer Ratte gewesen sein!«
»Das Drecksvieh war so groß wie ein Rottweiler! Oh Scheiße, tut das weh!«
Sie füllten eine Plastiktüte mit Schnee und steckten Steves blutende Hand hinein, wobei sie nicht allzu genau hinzusehen versuchten, als der Schnee in der Tüte sich langsam von weiß über rosa nach dunkelrot verfärbte. Logan wickelte noch einen unbenutzten Overall um das Ganze und befahl Constable Rennie, Steve ins Krankenhaus zu fahren, mit Musik und Lightshow und allem Drum und Dran.
Miller und Logan standen Seite an Seite, als das Blaulicht auf dem Dach des Streifenwagens aufleuchtete. Rennie vollführte ein etwas chaotisches Wendemanöver auf der glatten Straße und schlitterte mit heulender Sirene durch den Schneesturm davon.
»Na«, meinte Logan, als das flackernde Licht langsam vom Schneegestöber verschluckt wurde, »wie gefällt Ihnen Ihr erster Arbeitstag bei der Polizei?«
23
Logan blieb noch so lange wie möglich auf dem Hof und half dem Team, die Tierkadaver zu inspizieren. Trotz der ganzen Schutzausrüstung kam er sich schmutzig vor. Und alle waren hypernervös wegen des Zwischenfalls mit der Ratte. Niemand wollte Constable Steve in die Notaufnahme folgen und mit ihm auf die Tetanus- und Tollwutspritzen warten.
Schließlich musste er aber doch los; im Präsidium wartete noch Arbeit auf ihn. Hinter dem Tor am Ende des Zufahrtsweges stieg Colin Miller mit aschfahlem Gesicht aus. Er war fix und fertig und wollte nur noch auf dem schnellsten Weg nach Hause, um sich zuerst einmal eine Flasche Wein einzuflößen. Dann würde er unter die Dusche gehen und sich von Kopf bis Fuß abschrubben, bis er blutete.
Die Schar der Reporter und Kameraleute vor dem Tor hatte sich gelichtet. Jetzt war nur noch der harte Kern übrig. Sie saßen in ihren Autos, mit laufendem Motor und voll aufgedrehter Heizung. Kaum tauchte Logans Wagen auf, kamen sie auch schon aus ihren warmen Höhlen gekrochen.
»Kein Kommentar« – das war alles, was sie zu hören bekamen.
DI Insch war nicht in der Soko-Zentrale, als Logan ins Präsidium zurückkam. Bei den Kollegen, die dort Telefondienst schoben, erkundigte er sich nach dem neuesten Stand der Dinge – eine Begegnung der eher unangenehmen Art. Auch nach der morgendlichen Ansprache des Inspectors waren die Jungs offenbar immer noch der Überzeugung, dass er ein Stück Scheiße auf zwei Beinen war. Niemand sagte irgendetwas in der Richtung, doch ihre Berichte waren auffallend knapp und sachlich.
Team 1, Hausermittlung – Stichwort: »Haben Sie diesen Mann gesehen?« –, hatte wie in solchen Fällen üblich einen Haufen widersprüchlicher Aussagen zusammengetragen. Ja, Roadkill war gesehen worden, wie er die Jungen ansprach; nein, er war nicht gesehen worden; doch, er war. Die Wache Hazlehead hatte sogar eine Straßensperre eingerichtet, um die Autofahrer zu befragen, ob sie auf dem Weg in die Stadt oder zurück irgendetwas gesehen hätten. Nicht sehr wahrscheinlich, aber einen Versuch war es wert.
Team 2: Bernard Duncan Philips’ Lebensgeschichte. Diese Gruppe war am erfolgreichsten gewesen. Auf Inschs Schreibtisch lag eine dicke Mappe, die alles enthielt, was irgendwer über Roadkill wusste. Logan setzte sich auf die Schreibtischkante und blätterte das Konvolut von Fotokopien, Faxen und Computerausdrucken durch. Er hielt inne, als er auf den Bericht über den Tod von Bernards Mutter stieß.
Vor fünf Jahren war bei ihr Darmkrebs festgestellt worden. Sie hatte sich schon länger krank gefühlt und war nicht mehr allein zurechtgekommen. Bernard war von St. Andrews, wo er an seiner Promotion gearbeitet hatte, nach Hause zurückgekehrt, um seine kranke Mutter zu pflegen. Ihr Hausarzt hatte sie gedrängt, sich untersuchen zu lassen, doch sie hatte sich geweigert. Bernard stand fest auf Mamas Seite und jagte den Mann mit einer Spitzhacke vom elterlichen Hof. Damals wurde man zum ersten Mal auf seine psychischen Probleme aufmerksam.
Dann fand ihr Bruder sie auf dem Bauch liegend in der Küche und schickte sie umgehend ins Krankenhaus. Dort schnitt man sie auf, und siehe da – es war Krebs. Sie versuchten ihn noch zu behandeln, doch bis Februar hatte er schon in die Knochen gestreut. Und im Mai starb sie dann. Nicht im Krankenhaus, sondern in ihrem eigenen Bett.
Nach ihrem Tod hatte Bernard noch zwei Monate lang das Haus mit ihr geteilt. Dann war
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