Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Kartoffel. Falls mir meine Finger lieb sind. Und meine Beine.«
»Und haben Sie sie fallen lassen?«
»Na klar, was denken Sie denn?« Miller trank seinen Wein in einem Zug zur Hälfte aus. »Ich lass mir doch nicht von irgend so einem Arschloch mit einem Fleischermesser die Finger abhacken.« Er schüttelte sich. »Malk the Knife hat die Geschichte gestreut, und in null Komma nichts war ich meinen Job los. Keine Zeitung in der Region wollte mich mehr mit der Kneifzange anfassen.« Er seufzte. »Und so bin ich hier gelandet. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich find’s gar nicht so übel hier. Guter Job, jede Menge Titelseitenplatz, schicker Wagen, schöne Wohnung, hab ’ne nette Frau kennen gelernt … Die Bezahlung ist nicht so, wie ich’s gewohnt bin, aber trotzdem … Und ich bin noch am Leben.«
Logan lehnte sich auf seiner Bank zurück und betrachtete den Mann, der ihm gegenübersaß: den maßgeschneiderten Anzug, die goldenen Klunker, die Seidenkrawatte – und das alles an einem total verregneten Samstag in Aberdeen.
»Also deshalb habe ich in der Zeitung nie etwas darüber gelesen, dass Geordie ohne Kniescheiben im Hafenbecken gefunden wurde? Sie wagen es nicht, die Geschichte zu veröffentlichen, weil Malk the Knife davon erfahren könnte?«
»Wenn ich noch einmal irgendetwas über seine Geschäfte auf der Titelseite bringe, kann ich mich von allen zehn kleinen Negerlein hier verabschieden.« Der Reporter wedelte mit den Fingern vor Logans Gesicht herum, und seine Ringe funkelten im Schein der Deckenlampen. »Nein, was das betrifft, halte ich lieber den Mund.«
»Und warum reden Sie dann mit mir?«
Miller zuckte die Achseln. »Bloß weil ich Journalist bin, muss ich noch lange kein gewissenloses Schwein sein. Ich meine, ich bin schließlich kein Anwalt oder so was. Ich habe ein soziales Gewissen. Ich liefere Ihnen Informationen, damit Sie den Mörder fangen können. Ich halte mich nur bedeckt, weil ich gern meine Finger behalten würde. Wenn es zum Prozess kommt, müssen Sie schon allein klarkommen: Dann verpiss ich mich in die Dordogne. Zwei Wochen lang französische Spitzenweine und Haute Cuisine. Ich erzähle keinem Menschen was davon.«
»Sie wissen, wer es war, hab ich Recht?«
Der Reporter trank seinen Wein aus und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Nein. Aber wenn ich’s rauskriege, erfahren Sie’s als Erster. Nicht, dass ich noch weiter Nachforschungen anstellen würde. Da habe ich inzwischen weniger gefährliche Projekte an der Hand.«
»Zum Beispiel?«
Aber Miller lächelte nur. »Sie werden noch früh genug darüber lesen. Jetzt muss ich mich aber sputen.« Er stand auf und zog sich seinen dicken schwarzen Mantel über. »Ich treffe mich mit diesem Typen vom Telegraph . Die wollen morgen in ihrer Sonntagsbeilage eine vierseitige Reportage bringen. ›Dem Tod auf der Spur: Die Jagd nach dem Kindermörder von Aberdeen.‹ Sehr anspruchsvoll.«
Danestone war ursprünglich Ackerland gewesen, wie die meisten der Randgebiete von Aberdeen, aber immerhin hatte es der Bauwut länger standgehalten als der Rest. Und als dann irgendwann doch die Bulldozer über seine grünen Felder herfielen, lautete das Mantra »Schnell bauen, Platz sparend bauen«. Die traditionellen Wohnblocks aus Granit mit dunkelgrauem Dachschiefer waren nirgends zu sehen; hier waren die Häuser mit honigfarbenem Rauputz verkleidet und mit Dachpfannen gedeckt, und sie waren über ein Netz von verschlungenen Straßen und Sackgassen verteilt. Es sah aus wie in jeder beliebigen anonymen Vorstadtsiedlung.
Aber im Gegensatz zum Zentrum von Aberdeen, wo die Mietskasernen und hohen Granitbauten den Tag um eine Stunde verkürzten, gab es hier reichlich Sonne; die ganze Siedlung lag an einem Südhang entlang des Dee-Ufers. Der einzige Nachteil war die Nähe zur Hühnerfabrik, den Papiermühlen und der Kläranlage. Aber man konnte schließlich nicht alles haben. Solange der Wind nicht von Westen wehte, gab es keine Probleme.
Heute wehte der Wind nicht von Westen. Stattdessen heulte ein wütender Sturm aus Osten, direkt von der Nordsee her, und brachte eisigen, horizontalen Regen mit sich.
Fröstelnd drehte Logan das Wagenfenster wieder hoch. Er hatte ein Stück abseits des kompakten zweistöckigen Hauses geparkt, dessen kleiner Garten im prasselnden Regen wie tot dalag. Sie waren schon seit einer Stunde hier, er und ein glatzköpfiger Detective Constable mit Parka, und noch immer war von ihrer Zielperson nichts zu
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