Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
sich allein betrunken hätte und nicht wollte, dass irgendjemand es merkte. Er war unrasiert, die Stoppeln verwischten die Ränder seines schmalen Oberlippenbarts. Während Logan die üblichen Angaben auf Band sprach, hantierte er nervös mit seinen Papieren.
»Bernard«, sagte DI Insch, der sich inzwischen umgezogen hatte und seinen Reserveanzug trug, »wir möchten, dass Sie uns von dem toten Mädchen erzählen.«
Roadkills Blicke zuckten im Raum umher, und der Exlehrer seufzte schwer genervt.
»Das hatten wir doch alles schon einmal, Inspector.« Seine Stimme klang alt und müde. »Bernard ist nicht gesund. Er braucht Hilfe, mit einer Inhaftierung ist ihm wirklich nicht gedient.«
Insch verzog das Gesicht. »Bernard«, sagte er betont langsam und deutlich, »Sie haben sie gefunden, nicht wahr?«
Lloyd Turners Augenbrauen schossen hoch bis zum Haaransatz. »Gefunden?«, fragte er und starrte die stinkende, abgerissene Gestalt neben sich mit kaum verhohlener Überraschung an. »Haben Sie sie wirklich gefunden, Bernard?«
Roadkill rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her und blickte starr auf seine Hände hinunter. Kleine burgunderfarbene Klümpchen bedeckten seine Finger wie Blutegel. Die Haut um die Nägel herum war wund, mürbe gemacht vom pausenlosen Zupfen und Kauen. Er blickte nicht einmal auf, und seine Stimme war leise und brüchig. »Straße. Hab sie auf der Straße gefunden. Drei Igel, zwei Krähen, eine getigerte Katze, zwei langhaarige Katzen, schwarz-weiß gefleckt, ein Mädchen, neun Kaninchen, ein Reh …« Seine Augen wurden feucht, seine Stimme rau. »Meine schönen toten Geschöpfe …« Eine glitzernde Träne entwich aus einem Auge, überwand die Hürde der langen Wimpern und rann über die wettergegerbte Haut der Wange in seinen Bart.
Insch verschränkte die Arme und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Und da haben Sie das Mädchen also für Ihre ›Sammlung‹ mit nach Hause genommen.«
»Ich nehme sie immer mit nach Hause. Immer.« Ein Schniefen. »Kann sie doch nicht einfach wegwerfen, als wär’s Müll. Nicht die toten Geschöpfe. Nicht Geschöpfe, die mal Leben in sich hatten.«
Und in diesem Moment drängte sich Logan eine Erinnerung an ein einzelnes Bein auf, das mitten auf der städtischen Deponie aus einem Müllsack geragt hatte. »Haben Sie sonst noch etwas gesehen?«, fragte er. »Als Sie sie aufgelesen haben – haben Sie da irgendetwas beobachtet: ein Auto, einen Lastwagen oder etwas in der Art?«
Roadkill schüttelte den Kopf. »Nichts. Nur das tote Mädchen, das da am Straßenrand lag. Blutend, mit gebrochenen Gliedern und noch warm.«
Logans Nackenhaare stellten sich auf. »Hat sie etwa noch gelebt? Bernard, hat sie noch gelebt, als Sie sie fanden?«
Der verwahrloste Mann sank nach vorn, verschränkte die Arme auf der abgestoßenen Resopal-Tischplatte und legte den Kopf darauf. »Manchmal werden die Geschöpfe überfahren und sind dann nicht gleich tot. Manchmal warten sie, dass ich komme und bei ihnen Wache halte.«
»O Gott.«
Sie steckten Roadkill in seine Zelle und kamen im Vernehmungsraum wieder zusammen: Logan, Insch und Roadkills »geeignete erwachsene Person«.
»Ihnen ist doch bewusst, dass Sie ihn jetzt auf freien Fuß setzen müssen?«, sagte Mr. Turner.
Logan hob nur eine Augenbraue, aber Insch erwiderte: »Vergessen Sie’s.«
Der Exlehrer seufzte und nahm wieder auf einem der unbequemen Plastikstühle Platz. »Das Höchste, was Sie ihm anhängen können, ist eine unterlassene Unfallmeldung und die illegale Beseitigung einer Leiche.« Er rieb sich das Gesicht. »Und wir wissen alle, dass die Staatsanwaltschaft dafür keinen Prozess eröffnen wird. Ein einziges solides psychiatrisches Gutachten, und Sie können die ganze Sache vergessen. Er hat nichts verbrochen. Jedenfalls nicht nach seinem eigenen Verständnis. Das Mädchen war nur ein weiteres totes Geschöpf, das er am Straßenrand fand. Er hat nur seine Arbeit getan.«
Logan bemühte sich, nicht zustimmend zu nicken. Das hätte Insch nicht gefallen.
Der Inspector knirschte mit den Zähnen und starrte Mr. Turner an, der sich ungerührt gab. »Tut mir Leid, aber er ist nicht schuldig. Wenn Sie ihn nicht freilassen, werde ich mich an die Presse wenden. Da draußen stehen immer noch genug Kameras herum, die dafür sorgen werden, dass die Geschichte in die Frühnachrichten kommt.«
»Wir können ihn nicht gehen lassen«, sagte Insch. »Wenn wir’s tun, wird ihm irgendjemand den Kopf
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