Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
abreißen.«
»Sie geben also zu, dass er nichts verbrochen hat?« Die Art, wie Turner dies sagte, hatte etwas entschieden Bevormundendes, als ob er wieder an seiner Schule wäre und Insch gerade hinter dem Fahrradschuppen erwischt hätte.
Der Inspector warf ihm einen bösen Blick zu. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Freundchen: Ich stelle hier die Suggestivfragen, nicht Sie.« Er kramte in seinen Taschen nach etwas Süßem, wurde aber nicht fündig. »Nachdem Cleaver jetzt auf freiem Fuß ist, werden sich die selbst ernannten Moralwächter und Möchtegern-Richter dieser Stadt auf jeden stürzen, der in ihren Augen irgendwie nicht ganz sauber ist. Und Ihr Knabe hatte ein totes Mädchen in seinem Schuppen. Er dürfte ganz oben auf ihrer Liste stehen.«
»Dann müssen Sie ihm Schutzhaft gewähren. Wir werden mit der Presse sprechen und ihr klarmachen, dass Bernard unschuldig ist. Dass Sie entschieden haben, alle Vorwürfe gegen ihn fallen zu lassen.«
»Das haben wir eben nicht!«, mischte Logan sich ein. »Er hat sich immer noch dadurch schuldig gemacht, dass er die Leiche versteckt hat.«
»Sergeant«, sagte Mr. Turner mit gönnerhafter Geduld, »Sie müssen begreifen, wie das hier läuft. Wenn Sie versuchen, mit diesen Vorwürfen vor Gericht zu ziehen, werden Sie verlieren. Noch so einen verkorksten Prozess wird der Staatsanwalt sich nicht antun. Er hat sich mit diesem Cleaver-Fiasko schon genug blamiert. Mr. Philips wird freikommen. Die Frage ist nur: Wie viel vom Geld der Steuerzahler wollen Sie noch vergeuden, um genau das zu erreichen?«
Logan und DI Insch standen in der ansonsten menschenleeren Soko-Zentrale und blickten auf den Parkplatz hinunter, auf dem es zunehmend lebhaft zuging. Mr. Turner hatte seine Ankündigung wahr gemacht. Er stand vor den Kameras und genoss seinen Moment im Rampenlicht. Erzählte aller Welt, dass Bernard Duncan Philips von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden sei, dass das Rechtssystem funktioniere.
Der Exlehrer hatte Recht behalten: Der Staatsanwalt wies jeden Gedanken an einen Prozess weit von sich. Und der Polizeipräsident war auch nicht glücklich damit. Deshalb sollte Roadkill nun an einen sicheren Ort irgendwo in Summerhill verbracht werden.
»Was denken Sie?«, fragte Logan, während er zusah, wie noch ein weiterer Kameramann sich in das Gedränge stürzte. Es war schon fast elf Uhr, aber es kamen immer noch mehr.
Insch blickte finster auf den Medienauflauf hinunter. »Ich bin im Arsch, das denke ich. Erst die verdammte Märchenspiel-Sache, dann Cleaver, der mit zwölf Jahren systematischen Kindesmissbrauchs ungestraft davonkommt, und jetzt müssen wir auch noch Roadkill laufen lassen. Wie lange hatten wir ihn in der Zelle? Achtundvierzig Stunden. Vielleicht sechzig, wenn’s hochkommt. Sie werden mich bei lebendigem Leib auffressen …«
»Wie wär’s, wenn wir uns auch an die Medien wenden? Ich könnte mal mit Miller reden. Vielleicht kann er ja unseren Standpunkt rüberbringen?«
Insch lachte freudlos. »Kleinstadt-Journalist rettet Karriere von DI vor dem Klo?« Er schüttelte den Kopf. »Kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Sie vielleicht?«
»Aber einen Versuch ist’s wert.«
Am Ende musste Insch zugeben, dass er nichts zu verlieren hatte.
»Schließlich haben wir gerade einen schweren Justizirrtum verhindert. Das muss doch auch zählen, oder?«
»Ja. Das sollte es.« Der Inspector ließ die Schultern hängen. »Aber wenn Roadkill es nicht war und Nicholson auch nicht, dann läuft da draußen immer noch ein Killer rum, der hinter kleinen Kindern her ist. Und wir haben keinen blassen Schimmer, wer es ist.«
27
Als Logan sich endlich aus dem Bett wälzte und unter die Dusche tappte, rüttelte der Sonntag schon mit winterkalten Fingern an den Fenstern seiner Wohnung. Der Schnee, der in eisigen kleinen Flocken vom Himmel fiel, wurde von böigen Windstößen hin und her gewirbelt. Es war kalt, es war dunkel, und es war nicht mehr der freie Tag, der Logan eigentlich versprochen worden war.
Nachdem er sich in seinen grauen Anzug gemüht hatte, der farblich gut zu seiner Stimmung passte, schlich er in seiner warmen Wohnung herum und versuchte den Moment hinauszuschieben, wo er sich in dieses gotterbärmliche Wetter hinauswagen musste. Und dann klingelte das Telefon: Der unnachahmliche Colin Miller forderte sein Exklusivinterview ein.
Grummelnd stapfte Logan die Treppe hinunter und öffnete die Haustür. Eine halbe Tonne
Weitere Kostenlose Bücher