Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
der Wagen vom Haus aus nicht zu sehen war.
Insch, Watson, Logan und der uniformierte Constable, der für Logan immer noch Simon »das Arschloch« Rennie war, kletterten hinaus auf den verschneiten Gehsteig. Der Staatsanwalt hatte ganze drei Minuten gebraucht, um den Haftbefehl für Martin Strichen zu genehmigen.
»Okay«, sagte Insch und blickte zu dem Haus auf. Es war das einzige in der ganzen Straße, das keinen fröhlich funkelnden Weihnachtsbaum im Wohnzimmerfenster hatte. »Watson und Rennie, Sie gehen hinters Haus. Sie lassen niemanden rein oder raus. Klingeln Sie kurz durch, wenn Sie Posten bezogen haben.« Er hielt sein Handy hoch. »Wir übernehmen die Vorderseite.«
Die uniformierten Kollegen stemmten sich mit gesenkten Köpfen gegen den böigen, mit Eisnadeln gespickten Wind und verschwanden hinter der Häuserreihe.
Insch musterte seinen Sergeant mit prüfendem Blick. »Trauen Sie sich das zu?«, fragte er Logan.
»Sir?«
»Ich meine, wenn’s hart auf hart geht – sind Sie dem gewachsen? Ich will nicht, dass Sie mir hier plötzlich tot umfallen.«
Logan schüttelte den Kopf. Sofort spürte er seine Ohrmuscheln, die in der eisigen Luft wie Feuer brannten. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Sir«, sagte er. Der Wind riss seinen Atem sofort mit sich, ehe sich eine Dampfwolke bilden konnte. »Ich verstecke mich einfach hinter Ihnen.«
»Klar«, erwiderte Insch grinsend. »Aber passen Sie bloß auf, dass ich nicht auf Sie drauffalle.«
Das Handy in der Jackentasche des Inspectors summte diskret. Watson und Rennie waren auf ihrem Posten.
Die Haustür von Nummer 25 wartete schon seit Jahren auf einen frischen Anstrich. Die abblätternde blaue Farbe ließ das aufgequollene graue Holz darunter erkennen, auf dem Eiskristalle funkelten. Hinter den zwei in die Tür eingelassenen Wellglasscheiben war eine unbeleuchtete Diele zu erkennen.
Insch drückte auf die Klingel. Dreißig Sekunden später versuchte er es wieder. Und dann noch ein drittes Mal.
»Ja doch! Ja! Immer mit der Ruhe!« Die Stimme kam von irgendwo tief drinnen in dem kleinen Haus. Kurz flackerte Licht auf und drang schwach durch die Scheiben nach außen.
Ein Schatten fiel über die Diele, begleitet von gemurmelten Flüchen, die allerdings nicht so leise waren, dass man nichts verstanden hätte.
»Wer ist da?« Es war eine Frau, und ihre Stimme, rau vom jahrelangen Trinken und Rauchen, war ungefähr so einladend wie das Knurren eines tollwütigen Rottweilers.
»Polizei.«
Eine Pause trat ein. »Was hat der kleine Mistkerl jetzt wieder ausgefressen?« Die Tür blieb aber verschlossen.
»Machen Sie bitte auf.«
»Der kleine Mistkerl ist nicht da.«
Allmählich stieg Insch die Zornesröte ins Gesicht. »Machen Sie sofort die verdammte Tür auf!«
Klick , klonk , rassel . Die Tür öffnete sich ein paar Zentimeter weit. Das Gesicht, das durch den Spalt lugte, war hart und zerfurcht, im Winkel des schiefen, schmallippigen Mundes hing eine Zigarette. »Ich hab’s Ihnen doch gesagt, er ist nicht hier. Kommen Sie später wieder.«
Insch ließ sich das nicht länger bieten. Er richtete sich zu voller Größe auf, lehnte sein beträchtliches Gewicht gegen die Tür und drückte mit aller Kraft. Die Frau auf der anderen Seite wich taumelnd zurück, und Insch trat über die Schwelle in die enge Diele.
»Sie dürfen hier nicht rein ohne Haussuchungsbefehl! Ich hab meine Rechte!«
Insch schüttelte nur den Kopf, marschierte schnurstracks an ihr vorbei, durchquerte die kleine Küche und riss die Hintertür auf. Watson und Rennie kamen aus der Kälte hereingestakst. Eine Ladung Schnee wehte an ihnen vorbei in das schäbige Zimmer.
»Name?«, fragte Insch herrisch und richtete einen fetten Finger auf die empörte Frau. Sie war passend gekleidet für die nächste Eiszeit: dicker Wollpullover, dicker Wollrock, dicke Wollsocken, große flauschige Pantoffeln, und über dem Pullover noch eine übergroße Strickjacke in Krötenbraun. Ihr Haar sah aus, als wäre es irgendwann in den Fünfzigerjahren zuletzt frisiert worden. Fettig glänzende Locken, dicht an den Kopf geklatscht und mit Klammern und einem schmutzig braunen Haarnetz an Ort und Stelle gehalten.
Sie verschränkte die Arme unter den schlaffen Brüsten. »Nun sagen Sie schon, ob Sie ’n Haussuchungsbefehl haben.«
»Die Leute gucken einfach alle zu viel Fernsehen«, brummte Insch, während er den Haftbefehl aus der Tasche zog und ihn der Frau unter die Nase hielt. »Wo ist
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