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Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
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begreifen.
    »Und da stehen wir also im Moment«, beendete Insch seinen Vortrag mit einer Geste, die wohl das optische Äquivalent eines Tuschs sein sollte und die gesamte Soko-Zentrale umfasste.
    Der DI nickte. »Klingt, als hätten Sie von uns keine Hilfe nötig«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme, in der ein leichter Southern-Fife-Akzent mitschwang. »Sie wissen, wer der Täter ist; Ihre Suchtrupps sind im Einsatz. Jetzt müssen Sie nur noch abwarten. Früher oder später muss er sich zeigen.«
    Aber früher oder später war nicht gut genug für Insch. Früher oder später würde bedeuten, dass Jamie McCreath nicht mehr unter den Lebenden weilen würde, wenn sie ihn fänden.
    Der »Doktor« stand auf, um die Tatortfotos an der Wand in Augenschein zu nehmen. Dabei gab er kryptische Wortfetzen wie »Aha …« und »Interessant …« von sich.
    »Doktor?«, sagte der DI. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wo er auftauchen könnte?«
    Der Psychologe drehte sich um, wobei das Licht sich effektvoll in seinen runden Brillengläsern spiegelte. Er setzte ein dazu passendes Lächeln auf. »Ihr Täter wird nichts überstürzen«, sagte er. »Er möchte sich Zeit lassen. Das ist schließlich etwas, was er von langer Hand geplant hat.«
    Logan sah Insch an, und beide verdrehten die Augen. »Nun …«, warf Logan vorsichtig ein, »glauben Sie nicht, dass es eher so etwas wie eine Reflexhandlung ist?«
    Dr. Bushel beäugte Logan wie ein ungezogenes Kind, das er dennoch mit Nachsicht zu behandeln gedachte. »Könnten Sie das näher erläutern?«
    »Er wurde von Gerald Cleaver missbraucht, als er elf Jahre alt war. Cleaver wurde letzten Samstag freigesprochen. Am Sonntag haben wir den Lumley-Jungen gefunden, bevor Strichen an den Tatort zurückkehren und ihn verstümmeln konnte. Heute läuft auf allen Kanälen ein Werbespot für Cleavers Geschichte, die er an die Presse verkauft hat. Das alles ist zu viel für Strichen. Er ist einfach durchgedreht.«
    Der Doktor lächelte nachsichtig. »Interessante Theorie«, meinte er. »Ein Laie kann die Symptome leicht missdeuten. Sie müssen wissen, dass es Muster gibt, die nur das geübte Auge erkennen kann. Strichen ist ein Täter, der äußerst systematisch vorgeht. Er achtet sorgfältig darauf, dass seine getöteten Opfer nicht entdeckt werden. Er lebt in einer stark ritualisierten Fantasiewelt, und diese Rituale bedeuten, dass er sich strikt an sein eigenes, privates Regelsystem halten muss. Wenn er das nicht tut, ist er von einem Moment auf den anderen nichts weiter als ein Monster, das kleine Kinder jagt. Er schämt sich nämlich für seine Taten …« Dr. Bushel wies auf ein Autopsiefoto von David Reids Leistengegend. »Indem er die Genitalien entfernt, gibt er vor, dass das Kind nicht männlichen Geschlechts sei. Er redet sich ein, sein Verbrechen sei weniger abscheulich, weil es keine kleinen Jungen sind, die er missbraucht.« Er nahm seine Brille ab und putzte sie mit dem Zipfel seiner Krawatte. »Nein, Martin Strichen muss in der Lage sein, sein Handeln zu rechtfertigen, wenn auch nur vor sich selbst. Er hat seine Rituale. Er wird sich Zeit nehmen wollen.«
    Logan sagte kein Wort mehr, bis Insch den Besuchern den Weg zur Kantine gezeigt hatte und sie in der Soko-Zentrale wieder unter sich waren. »Was für ein Dünnbrettbohrer!«
    Insch nickte und durchwühlte zum x-ten Mal an diesem Nachmittag seine Taschen. »Stimmt. Aber dieser Dünnbrettbohrer hat mitgeholfen, vier Wiederholungstäter dingfest zu machen, drei davon Mörder. Er hat ungefähr so viel soziale Kompetenz wie ein Grippevirus, aber dafür jede Menge Erfahrung.«
    Logan seufzte. »Also, was machen wir jetzt?«
    Insch gab seine Süßigkeitensuche auf und versenkte betrübt seine Pranken in den Hosentaschen. »Jetzt?«, fragte er. »Jetzt können wir nur Däumchen drehen und hoffen, dass das Glück auf unserer Seite ist.«
    Im Sommer, wenn die sanften, mit Gras und Strauchwerk bewachsenen Hügel im goldenen Sonnenlicht lagen, hatte man von den hinteren Fenstern bestimmt eine sehr schöne Aussicht. Die graue Granitwüste von Bucksburn blieb hinter dem steilen Abhang jenseits der Steinbrüche verborgen, und an einem guten Tag, wenn die Schornsteine der Papierfabriken einmal nicht die ganze Umgebung in Kumuluswolken aus seltsam riechendem Rauch hüllten, mussten die Hügel, Felder und Wälder jenseits des Don wie Smaragde glänzen. Eine ländliche Idylle, abgeschirmt vom Verkehrslärm der vierspurigen Straße unten im

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