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Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
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und ihre Stimme schoss in die Höhe wie das Kreischen einer rostigen Kettensäge. »Versuch ja nicht, dich vor mir zu verstecken, du kleiner Mistkerl! Zwei Jahre! Hast du gehört? Zwei Jahre hat dein Vater schon gesessen, als ich dich gekriegt hab! Du hast alles kaputtgemacht! Du warst noch nie zu irgendwas zu gebrauchen!«
    »Hör auf …« Er sprach leise, doch Watson hörte die Drohung in seiner Stimme.
    Mrs. Strichen hörte sie nicht. »Du machst mich krank!«, kreischte sie. »Kleine Jungs befummeln! Du dreckiges, widerliches Schwein! Wenn dein Vater noch am Leben wäre …«
    »Was? Was? Was wäre, wenn mein Vater noch am Leben wäre?« Martins Stimme war wie Donnergrollen, bebend vor Zorn.
    »Dann würde er dich zu Brei schlagen, jawohl!«
    Im Wohnzimmer zerschellte irgendetwas mit großem Getöse – eine Vase oder ein Krug. Watson nutzte den Lärm aus, um die Beine anzuziehen, sich mit den Füßen abzustoßen und wie eine Raupe Zentimeter für Zentimeter über den Fußboden zu robben – in Richtung Diele, wo das Telefon stand.
    »Das ist alles seine Schuld!«
    »Gib deinem Vater nicht die Schuld für das, was du bist, du dreckiger Mistkerl!«
    Watson spürte den rauen Teppich an ihrer Wange, als sie sich aus der Küche in die Diele hinausschlängelte. Im Wohnzimmer krachte wieder etwas gegen die Wand.
    » Er hat mir das angetan! Er!« Martins Stimme war tränenerstickt, doch darunter bebte sie vor Zorn. »Er hat mich ins Krankenhaus gebracht! Er hat mich diesem … diesem … Cleaver ausgeliefert! Jede Nacht! Jede verdammte Nacht!«
    »Red nicht so über deinen Vater!«
    »Jede Nacht! Gerald Cleaver hat mich jede verdammte Nacht missbraucht! Ich war elf!«
    Watson hatte den Telefontisch fast erreicht; statt des Läufers spürte sie jetzt die kalte Plastikmatte unter sich.
    »Du mieser, wehleidiger kleiner Mistkerl!«
    Ein klatschender Schlag, Fleisch auf Fleisch, und dann war es einen Moment still.
    Constable Watson riskierte einen Blick ins Wohnzimmer, doch sie konnte nur die Schatten auf der Tapete sehen. Martin Strichen kauerte am Boden und hielt eine Hand vors Gesicht, während die Gestalt seiner Mutter drohend über ihm aufragte.
    Watson robbte noch ein Stück weiter. Sie war jetzt auf Höhe des Telefontischs und hatte einen ungehinderten Blick ins Wohnzimmer und das kleine Esszimmer dahinter. Sie sah ein Bügelbrett, daneben einen Stapel Wäsche. Und direkt davor stand Mrs. Strichen und holte aus, um ihrem Sohn die nächste schallende Ohrfeige zu verpassen.
    »Du dreckiger, widerlicher kleiner Mistkerl!« Sie unterstrich jedes einzelne Wort mit einem brutalen Schlag gegen Martins Kopf.
    Watson stieß mit der Schulter gegen den Telefontisch. Zum Glück wurde das Geräusch vom Geschrei und Gejammer im Nebenzimmer übertönt. Das Telefon hüpfte ein paar Mal auf der Basisstation auf und ab und segelte dann lautlos zu Boden. Niemand hörte, wie es auf der Plastikmatte aufschlug.
    »Ich hätte dich gleich nach der Geburt erwürgen sollen!«
    Watson tastete unbeholfen nach dem Telefon, verrenkte den Hals, um die Tasten sehen zu können, und tippte mit dem Daumen dreimal die Neun ein – den Polizeinotruf. Dann blickte sie sich hektisch zum Wohnzimmer um. Niemand sah in ihre Richtung. Mrs. Strichen prügelte immer noch auf ihren Sohn ein. Bei dem Lärm konnte Watson den Rufton des Telefons nicht hören, aber sie rutschte trotzdem ein Stück zurück, bis sie es mit dem Ohr so auf den Boden drücken konnte, dass ihr geknebelter Mund über der Sprechmuschel lag.
    »Notrufzentrale. Welchen Dienst wünschen Sie?«
    Sie gab sich größte Mühe zu antworten, brachte aber nur eine Reihe erstickter Grunzlaute zustande.
    »Verzeihung, könnten Sie das bitte wiederholen?«
    Schweißgebadet versuchte Jackie Watson es erneut.
    »Sie haben eine Notrufnummer gewählt.« Die Stimme am anderen Ende war jetzt nicht mehr so freundlich. »Wenn Sie hier nur zum Spaß anrufen, machen Sie sich strafbar!«
    Jackie konnte nur erneut grunzen.
    »Das reicht. Ich werde den Vorfall melden!«
    Nein! Nein! Sie mussten den Anruf zurückverfolgen und Hilfe schicken!
    Die Leitung war tot.
    Rasend vor Wut ließ sie das Telefon fallen und robbte wieder ein Stück vor, um es mit der Hand zu fassen und erneut die 999 zu wählen.
    Ein neues Geräusch, ein dumpfer, klatschender Schlag, schreckte sie auf.
    Ihr Blick schoss vom Telefon in Richtung Wohnzimmer. Mrs. Strichen, ihr Gesicht weiß wie der Schnee draußen vor dem Fenster, wankte auf die

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