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Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
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keinen Finger gerührt, um den Constable daran zu hindern, sich im Vollrausch splitterfasernackt auszuziehen.
    Logan stöhnte.
    Dieser Auftrag war ebenso sehr eine Strafe für ihn wie für Steve.
    Fünfundzwanzig Minuten später stiegen sie vor einer baufälligen Scheune aus dem Wagen des nervösen Schissers. Es war der äußerste Vorposten eines weitläufigen Bauernhofs am Rande des Vororts Cults. Die Straße, eigentlich eher ein Feldweg, war fast gänzlich von Gestrüpp überwuchert. Am Ende des Weges kauerte das heruntergekommene Bauernhaus, dessen graue Steine im nicht enden wollenden Regen weinten. Ringsum standen abbruchreife Stallungen, umgeben von Ödland, hüfthohem Gras und Unkraut. Jakobskraut und Ampfer ragten aus der wuchernden Vegetation hervor, die Stängel und Blätter rostbraun unter dem winterlichen Himmel. Zwei Fenster starrten sie aus dem Schieferdach des Gebäudes an wie leere Augenhöhlen. Auf die verblichene rote Tür darunter war eine große Sechs gemalt. Auch jedes der verstreut liegenden Wirtschaftsgebäude wies eine mit weißer Farbe angebrachte Nummer auf. Alle Oberflächen glänzten im diesigen Nieselregen und reflektierten das matte, graue Tageslicht.
    »Gemütlich hier«, sagte Logan; ein schwacher Versuch, das Eis zu brechen. Und dann roch er es. »O Mann!« Entsetzt schlug er eine Hand vor Mund und Nase.
    Es war der süßliche, widerliche Gestank der Verwesung. Der Geruch von Fleisch, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.
    Der Geruch des Todes.

11
    Constable Steve würgte einmal, dann noch einmal, und dann stürzte er sich ins nächste Gebüsch, wo er sich geräuschvoll und ausgiebig erbrach.
    »Sehen Sie?«, sagte der nervöse Mann von der Stadt. »Hab ich Ihnen nicht gesagt, dass es furchtbar ist? Hab ich’s nicht gesagt?«
    Logan nickte zustimmend, obwohl er ihm während der Fahrt überhaupt nicht richtig zugehört hatte.
    »Die Nachbarn beschweren sich schon seit letztes Weihnachten über den Gestank. Wir haben einen Brief nach dem anderen geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen«, sagte der Mann, seine Aktenmappe fest umklammernd. »Der Briefträger weigert sich, hier weiter die Post zuzustellen.«
    »Tatsächlich«, meinte Logan. Das erklärte ja wohl, warum sie nie eine Antwort auf ihre blöden Briefe bekommen hatten. Er wandte dem kotzenden Constable den Rücken zu und begann sich einen Weg durch den Dschungel zu bahnen. »Sehen wir mal nach, ob jemand zu Hause ist.«
    Der Mann von der Stadt ließ ihn vorangehen, was nicht weiter erstaunlich war.
    Das Bauernhaus war irgendwann einmal gut in Schuss gewesen. An den bröckelnden Steinmauern hingen noch Reste weißer Farbe, und verbogene, rostende Haken ragten hervor, an denen einst wohl Blumenampeln gehangen hatten. Aber das war lange her. Jetzt wuchs Gras in der Dachrinne und blockierte das Rohr, sodass das Wasser sich staute und über den Rand schwappte. Die Tür war seit Jahren nicht mehr gestrichen worden. Wind und Wetter hatten den letzten Anstrich komplett abgetragen und nur das nackte, ausgebleichte Holz übrig gelassen. In der Mitte war eine kleine Hausnummer aus Eisen angeschraubt, durch Rost und Schmutz unleserlich geworden. Der Türgriff sah auch nicht viel besser aus. Und darüber prangte diese riesige, weiße, handgemalte Sechs.
    Logan klopfte. Sie traten einen Schritt zurück und warteten. Und warteten. Und warteten. Und …
    »Ach, hol’s der …« Logan gab es auf und stapfte durch das wuchernde Unkraut an der Hauswand entlang. Durch jedes Fenster, an dem er vorbeikam, spähte er hinein.
    Das Innere des Hauses lag im Dunkeln. Er konnte nur schemenhafte Umrisse von Möbeln erkennen – unförmige Schatten hinter den vor Schmutz starrenden Scheiben.
    Schließlich langte er wieder vor der Haustür an. Das niedergetrampelte lange Gras markierte den Weg, den er genommen hatte. Logan schloss die Augen und versuchte, nicht zu fluchen. »Hier ist niemand«, sagte er. »Es ist seit Monaten niemand mehr hier gewesen.« Wenn noch jemand in dem Haus gewohnt hätte, dann wäre das Gras zwischen der Straße und der Haustür niedergedrückt gewesen.
    Der Mensch von der Stadt sah das Haus an, dann Logan und schließlich seine Uhr. Er begann in seiner Ledermappe zu kramen und zog ein Klemmbrett heraus.
    »Nein«, sagte er und las von dem zuoberst liegenden Blatt ab, »dieses Haus ist die Wohnadresse eines gewissen Mr. Bernard Philips.« Er hielt inne, fummelte an den Knöpfen seiner Jacke herum und sah erneut auf die

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